Aufmerksamkeit
Bibelfenster zum 19. September 2013:
Alle Zöllner und Sünder kamen zu ihm (Jesus), um ihn zu hören. Die Pharisäer und die Schriftgelehrten empörten sich darüber und sagten: Er gibt sich mit Sündern ab und isst sogar mit ihnen. Da erzählte er ihnen ein Gleichnis und sagte: Wenn einer von euch hundert Schafe hat und eins davon verliert, lässt er dann nicht die neunundneunzig in der Steppe zurück und geht dem verlorenen nach, bis er es findet? Und wenn er es gefunden hat, nimmt er es voll Freude auf die Schultern, und wenn er nach Hause kommt, ruft er seine Freunde und Nachbarn zusammen und sagt zu ihnen: Freut euch mit mir; ich habe mein Schaf wiedergefunden, das verloren war. Ich sage euch: Ebenso wird auch im Himmel mehr Freude herrschen über einen einzigen Sünder, der umkehrt, als über neunundneunzig Gerechte, die es nicht nötig haben umzukehren. Oder wenn eine Frau zehn Drachmen hat und eine davon verliert, zündet sie dann nicht eine Lampe an, fegt das ganze Haus und sucht unermüdlich, bis sie das Geldstück findet? Und wenn sie es gefunden hat, ruft sie ihre Freundinnen und Nachbarinnen zusammen und sagt: Freut euch mit mir; ich habe die Drachme wiedergefunden, die ich verloren hatte. Ich sage euch: Ebenso herrscht auch bei den Engeln Gottes Freude über einen einzigen Sünder, der umkehrt.
Einheitsübersetzung, Lukas 15, 1-10
Worüber regen sich die Pharisäer und Schriftgelehrten eigentlich auf? Dass Jesus sich mit Menschen abgibt, die es ihrer religiösen Überzeugung nach nicht verdient haben? Oder steckt vielleicht auch ein wenig Neid dahinter, dass Jesus sich nicht mit ihnen beschäftigt?
Mich jedenfalls erinnert die Reaktion der damaligen jüdischen Führungsriege auf Jesu Handeln an viele alltägliche Situationen, bei denen es meist darum geht, warum jemand mehr Aufmerksamkeit bekommt als er scheinbar verdient hat: mir fallen die „schwierigen“ Schüler/-innen ein, um die sich die Lehrkräfte mehr bemühen als um die „normalen“ Schüler/-innen; oder die Geschwister, die ständig aus der Reihe tanzen und dafür auch noch die Aufmerksamkeit der Eltern bekommen; oder – mal anders herum gedacht – die ach so tollen Kollegen und Kolleginnen, deren Arbeitsengagement vom Chef ständig herausgestellt wird. Auf der Strecke bleiben jeweils die, die ohne Aufsehen zu erregen ihr Lernpensum in der Schule erfüllen, sich in Familie und Gesellschaft eingliedern oder ihre Arbeit ordentlich erledigen.
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Ansehen haben – also gesehen und gewürdigt werden – ein Urbedürfnis des Menschen, von dem meiner Erfahrung nach vieles abhängt. Wer nicht erfährt oder fühlt, dass er um seiner selbst willen und mit seinen Bedürfnissen und Möglichkeiten wahrgenommen wird, kann schlecht andere neben sich stehen und leben lassen. Große und kleine Konflikte in Alltag, Gesellschaft und Weltgemeinschaft lassen sich wohl letztlich genau darauf zurückführen. Ansehen verdient jede/-r, ohne es sich erst verdienen zu müssen – egal wodurch.
Mich lädt dieses Evangelium ein, aufmerksamer zu sein für die Menschen um mich herum, unabhängig davon, ob sie nerven, mich ärgern, bedürftig, schwierig oder einfach nur da sind. Denn auch ich lebe davon, dass mir Aufmerksamkeit zuteil wird. Unter anderem darin wird für mich erfahrbar, dass ich schon längst und immer Ansehen bei Gott habe.
Inga Schmitt, Pastoralreferentin