Saulus – Paulus
Bibelfenster zum 11. Mai 2012:
Saulus kehrte nach Jerusalem zurück. Dort wollte er sich den Jüngern anschließen. Aber sie hatten alle Angst vor ihm. Sie konnten nicht glauben, dass er wirklich ein Jünger geworden war.
Basisbibel Apostelgeschichte 9,26
Das gibt es ja, dass Menschen so radikal die Positionen verändern, dass sie von Gegnern zu Befürwortern einer Sache werden und mit diesem Wandel ihre Umgebung verwirren und verärgern.
Otto Schily wird heute zu den law-and-order-Politikern gezählt; früher hat er Mitglieder der RAF verteidigt. Darunter auch Horst Mahler, der selbst ein erfolgreicher Anwalt für Wirtschaftsfragen war, bevor er zur extremen Linken stieß. Wegen linksterroristischer Verbrechen erhielt er als junger Mann Berufsverbot und wurde zu zwölf Jahren Haft verurteilt. In seinen späten Jahren hat Mahler sich wieder Berufsverbot und eine ebenso lange Haft eingehandelt, diesmal wegen nationalsozialistischer Verbrechen. Eine extreme und verschreckende Biographie.
Selbst jemand wie Heiner Geißler war für manche wegen der Veränderungen seiner politischen Positionen schwer verdaulich: In seiner Zeit als Generalsekretär der CDU mit seinen polarisierenden Thesen gegen links war er ein Buhmann der Linken, heute schimpfen ihn die Rechten aus, weil er sich in die Reihen der attac und Globalisierungsgegner eingereiht hat.
Alle genannten Persönlichkeiten haben gemeinsam, dass man über sie sagt, sie seien vom Saulus zum Paulus geworden. Um den Namensgeber für diese Redewendung geht es im obigen Lesungstext. Der engagierte Christenverfolger Paulus will nach seiner Begegnung mit dem auferstandenen Christus die Sache Jesu verteidigen und in der Jüngergemeinde der Apostel Missionar sein. Doch man nimmt ihm seinen Wandel nicht ab. Misstrauen und Angst begegnen ihm – verständlicherweise.
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Nichts verändert sich so schwerfällig wie die früh erlernten Denk- und Verhaltensmuster von Menschen. So berichten Psychologen. Diese Erfahrungswerte teilen sicher schon die Jünger und fragen sich, wie glaubwürdig dieser Wandel des Paulus somit sein kann. Sie bleiben vorsichtig im Umgang mit ihm: Ist er ein Wolf, der Kreide geschluckt hat und steckt hinter dem neuen Paulus doch noch der alte Verfolger? Oder ist er ein Mensch ohne Rückgrat, der auf andere Art bedrohlich ist: „Wendehals“, „Spion“, „dreht sein Fähnchen mit dem Wind“, „Umfaller“ – so kommt es wahrscheinlich dem Paulus entgegen.
Aber gerade von diesem Mann, Paulus, werden Impulse ausgeben, die die christliche Bewegung zur universalen Kirche wachsen lassen.
Kirche wächst durch Menschen die aus ihrem Glauben heraus Position beziehen und diese auch in schwierigen Zeiten bewahren können. Aber sie wächst auch durch Menschen, die wie Paulus in der Lage sind, sich von tief eingeprägten Erfahrungen und Überzeugungen zu lösen, wenn die Zeit für neue Schritte gekommen ist – die vom Saulus zum Paulus werden können.
Es ist der unberechenbare Geist Gottes, der unterscheiden hilft, wann das eine und wann das andere von mir gefragt ist.
Ina Eggemann