Kopftuch, Kippa und Kreuz an der Wand – ist doch selbstverständlich!
Ein Ort, an dem christliche, jüdische und muslimische Kinder lernen, ihre unterschiedlichen religiösen Riten zu respektieren, wo Kreuze an den Wänden hängen und andere religiöse Symbole wie Halbmond und Menora gezeigt werden. Kann das gutgehen? Na klar! Das beweist die Drei-Religionen-Schule in Osnabrück. Hier ein spannender Einblick.
Rachel und Irakli haben im Religionsunterricht immer wieder geübt. Ob alles klappt? Das wird der Praxistest heute zeigen. Die beiden Erstklässler sind Gastgeber. Sie führen durch ihr Gotteshaus – die Synagoge. „Shalom! Herzlich willkommen!“, begrüßen sie ihre Mitschüler. Sogleich folgt ein Hinweis des Lehrers an alle Jungen: „Bitte setzt eine Kippa auf und passt auf, dass ihr sie nicht verliert.“ Dann übernehmen Rachel und Irakli. Sie gehen zu den Waschbecken im Vorraum, gießen aus einer silbernen Kanne Wasser über ihre Hände, dreimal links, dreimal rechts, und sprechen ein Segensgebet auf Hebräisch. Die anderen Kinder stehen dicht gedrängt und staunen. Sie wissen allerdings: nur zuschauen, nicht nachmachen. Das Ritual ist den Juden vorbehalten. Aber was bedeutet es?
Jeder Glaube wird anschaulich erklärt
Religionslehrer Sebastian Hobrack klärt auf, kurz und kindgerecht: „Früher, als noch alle Juden in Israel lebten, gab es einen Tempel. Wer ihn betreten wollte, wusch sich die Hände, um rein zu sein. Noch heute erinnern wir uns an den Tempel, waschen uns deshalb und sprechen einen Segen, um Gott zu loben.“ Weiter geht es in den Keller zur Mikwe, einem rituellen Tauchbad. Jede jüdische Frau, erfahren die Kinder, taucht einmal im Monat in diesem „Minibad“ unter. Das kühle Nass kommt nicht aus der Leitung. Es muss fließendes, lebendiges Wasser sein – also Quell-, Grund- oder gesammeltes Regenwasser.
Der Synagogenbesuch ist Teil einer Projektwoche der Drei-Religionen-Schule in Osnabrück. Das Konzept dieser von der Schulstiftung des Bistums getragenen Grundschule ist bislang einzigartig in Deutschland: Christliche, muslimische und jüdische Schüler lernen ihre eigenen religiösen Wurzeln kennen – und die der anderen Glaubensrichtungen. Sie begegnen sich im Schulalltag und beim Spielen, lernen, die unterschiedlichen religiösen Riten zu respektieren, miteinander altersgemäß über ihren Glauben zu sprechen, Verwandtes und Andersartiges als normal und positiv zu erleben.
Ein Beirat aus Eltern, Lehrern und Vertretern der drei Religionen begleitet dieses Schulprofil konstruktiv-kritisch. Anders als an anderen Schulen muss die Kleidung der Lehrkräfte nicht neutral sein. Das Kopftuch der muslimischen Lehrerin Annett Abdel-Rahman ist ebenso selbstverständlich wie die Kippa auf dem Kopf des jüdischen Lehrers Sebastian Hobrack.
„Wir achten aufeinander!“
22 Mädchen und Jungen wurden im vergangenen Herbst eingeschult. Neun von ihnen sind katholisch, acht muslimisch, zwei jüdisch. Je ein Kind ist evangelisch, orthodox und ohne Religionszugehörigkeit. Getrennt wird lediglich konfessionell-kooperative christliche, jüdische und islamische Religion gelehrt. Jedes Kind besucht einen Religionsunterricht, die Eltern entscheiden, welchen. „Aber wir kommen auch immer wieder zusammen“, sagt Schulleiterin Birgit Jöring. Zum Beispiel an den Projekttagen in den verschiedenen Gotteshäusern. Vorbereitend schauten sich die Erstklässler Fotos an von Synagoge, Kirche und Moschee, besichtigten die Häuser zum Teil und machten sich mit typischen Geräuschen vertraut, etwa dem Gebetsruf des Muezzin oder mit dem Klang von Kirchenglocken. Und deshalb lacht auch niemand, als Sebastian Hobrack ins Schofarhorn bläst, ein aus Widder- oder Kuduhorn gefertigtes Instrument jüdischen Ursprungs.
„Bei uns gelten bestimmte Regeln“, betont Birgit Jöring. Eine Regel lautet: Wir machen uns nicht lustig über die anderen. Eine weitere: Wir achten aufeinander. „Wer spürt, dass er mit seinem Glauben von anderen respektiert wird, kann auch stolz zu seiner Religion stehen“, sagt Moshe Baumel, Rabbiner der jüdischen Gemeinde Osnabrück. Er ist überzeugt, dass die Gemeinschaft Toleranz fördert. Mit anderen Worten: „Man kann sich sicher sein, dass die Schüler hier Hand in Hand zur Schule gehen und sich später nicht die Köpfe einschlagen“ Bereits nach einem guten halben Jahr beobachtet Birgit Jöring erfreut, dass sich die Kinder ganz ungezwungen über Religiöses austauschen, dass sie vergleichen und Bezüge zu ihrer eigenen Religion herstellen.
Selbst die knifflige Frage, wie christliche, jüdische und muslimische Feste im Unterricht aufgegriffen werden sollen, ist in der Praxis kein Problem: Steht ein Fest bevor, wird es im Montagskreis zu Beginn jeder Schulwoche vorgestellt. Bereiten beispielsweise die christlichen Kinder eine Adventsfeier vor, beteiligen sich die andersgläubigen Kinder nicht, sind aber als Gäste eingeladen und können sogar mitsingen – insofern es sich um neutrale Winterlieder handelt. Ähnlich verhält es sich mit dem Chanukkafest oder dem Fastenbrechen am Ende des Ramadan.
Das religiöse Profil prägt den Schulalltag
In erster Linie sei die Drei-Religionen-Schule eine ganz normale Grundschule, in der Kinder das Lesen, Schreiben und Rechnen erlernen, mit Musik, Kunst, Werken, Sport und Computern sowie vielen anderen Wissens- und Lebensgebieten in Kontakt kommen, erklärt Claudia Sturm, Schulrätin im Osnabrücker Kirchendienst. Das religiöse Profil jedoch ist prägend – auch beim gemeinsamen Mittagessen. Denn hier sind Fleisch, Fisch, Kartoffeln, Reis oder Gemüse nicht nur eine Geschmacksfrage. Küchenkraft Sandra Schulze hat sich über die religiösen Speisevorschriften informiert. Mittlerweile weiß sie, auch ohne nachzufragen, welchem Kind sie Schweinefleisch auftischen darf und welchem nicht. Gegessen wird von speziellen Tellern aus gehärtetem Glas, die als koscher gelten. Angeliefert wird das Essen in getrennten Behältern. Selbst Fleisch und Soße sind getrennt. Denn in der koscheren Küche darf Milchiges (zum Beispiel eine Sahnesoße) und Fleischiges nicht auf einem Teller landen – geschweige denn im Magen.
Weitere Infos
Am Ende des Projekttages kommen Kinder und Lehrer noch einmal im Klassenzimmer zusammen, der „Erzählball“ kreist und jeder berichtet, was ihm gefallen hat und was nicht. Muhammad hat etwas auf dem Herzen: Ein Junge, der nicht zur Drei-Religionen-Schule gehört, habe zu ihm gesagt: „Moschee ist doof.“ Muhammads Mitschüler protestieren lautstark, sie können verstehen, dass er sich ärgert. In ihrer Runde – so viel ist sicher – wird sich niemand derart abfällig äußern.