Das Wesen der Heiligen
Bibelfenster zum 6. November 2015
Dann sah ich vom Osten her einen anderen Engel emporsteigen; er hatte das Siegel des lebendigen Gottes und rief den vier Engeln, denen die Macht gegeben war, dem Land und dem Meer Schaden zuzufügen, mit lauter Stimme zu: Fügt dem Land, dem Meer und den Bäumen keinen Schaden zu, bis wir den Knechten unseres Gottes das Siegel auf die Stirn gedrückt haben. Und ich erfuhr die Zahl derer, die mit dem Siegel gekennzeichnet waren. Es waren hundertvierundvierzigtausend aus allen Stämmen der Söhne Israels, die das Siegel trugen: Danach sah ich: eine große Schar aus allen Nationen und Stämmen, Völkern und Sprachen; niemand konnte sie zählen. Sie standen in weißen Gewändern vor dem Thron und vor dem Lamm und trugen Palmzweige in den Händen. Sie riefen mit lauter Stimme: Die Rettung kommt von unserem Gott, der auf dem Thron sitzt, und von dem Lamm. Und alle Engel standen rings um den Thron, um die Ältesten und die vier Lebewesen. Sie warfen sich vor dem Thron nieder, beteten Gott an und sprachen: Amen, Lob und Herrlichkeit, Weisheit und Dank, Ehre und Macht und Stärke unserem Gott in alle Ewigkeit. Amen. Da fragte mich einer der Ältesten: Wer sind diese, die weiße Gewänder tragen, und woher sind sie gekommen? Ich erwiderte ihm: Mein Herr, das musst du wissen. Und er sagte zu mir: Es sind die, die aus der großen Bedrängnis kommen; sie haben ihre Gewänder gewaschen und im Blut des Lammes weiß gemacht.
Offenbarung 7,2-4.9-14
Es gibt viele Beschreibungen dessen, was das Charakteristikum von Heiligen ist. Neulich bin ich auf diese Erklärung gestoßen: „Heilige klagen nicht an.“ Eine überraschende Beschreibung! In den Zusammenhang der Lesung zum Allerheiligengest (Offenbarung 7) gehört als Ergänzung: „Da hörte ich eine laute Stimme im Himmel rufen: Jetzt ist er da, der rettende Sieg, die Macht und die Herrschaft unseres Gottes und die Vollmacht seines Gesalbten; denn gestürzt wurde der Ankläger unserer Brüder, der sie bei Tag und bei Nacht vor unserem Gott verklagte“ (Offenbarung 12,10).
Das Wesen des Teufels ist es, das er anklagt. Das Wesen der Heiligen ist es, dass sie nicht anklagen, im Gegenteil, dass sie Fürsprache für uns einlegen.
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Das können sie, weil sie erstens selber Menschen waren und deswegen wissen, was es heißt, Mensch zu sein. Und weil sie zweitens angenommen haben, dass in diesem begrenzten Menschsein Gottes Gnade gegenwärtig ist.
Sie haben sich anrühren lassen von der größeren Wirklichkeit und entdeckt, dass es bei aller Begrenztheit und moralischen Bruchstückhaftigkeit eine zuvorkommende Gnade gibt, die immer da ist. Diese zuvorkommende Gnade haben sie in sich zugelassen – das ist die Größe dieser Menschen, die wir Heilige nennen.
Weil sie wissen, was Menschsein heißt, deswegen überheben sie sich nicht über uns, deswegen klagen sie uns nicht an, deswegen legen sie Fürsprache für uns ein. Im „Salve Regina“, dem zentralen Marienlied, rufen wir Maria an als „advocata Nostra“, also als unsere Advokatin, als unsere Anwältin: „Wohlan denn, unsere Fürsprecherin, wende deine barmherzigen Augen uns zu, und nach diesem Elend zeige uns Jesus, die gebenedeite Frucht deines Leibes.“
Pater Franz Richardt