Das Wort, das unter die Haut geht
Bibelfenster zum 27. August 2015
Viele seiner Jünger, die ihm zuhörten, sagten: Was er sagt, ist unerträglich. Wer kann das anhören? Jesus erkannte, dass seine Jünger darüber murrten, und fragte sie: Daran nehmt ihr Anstoß? Was werdet ihr sagen, wenn ihr den Menschensohn hinaufsteigen seht, dorthin, wo er vorher war? Der Geist ist es, der lebendig macht; das Fleisch nützt nichts. Die Worte, die ich zu euch gesprochen habe, sind Geist und sind Leben. Aber es gibt unter euch einige, die nicht glauben. Jesus wusste nämlich von Anfang an, welche es waren, die nicht glaubten, und wer ihn verraten würde. Und er sagte: Deshalb habe ich zu euch gesagt: Niemand kann zu mir kommen, wenn es ihm nicht vom Vater gegeben ist. Daraufhin zogen sich viele Jünger zurück und wanderten nicht mehr mit ihm umher. Da fragte Jesus die Zwölf: Wollt auch ihr weggehen? Simon Petrus antwortete ihm: Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens. Wir sind zum Glauben gekommen und haben erkannt: Du bist der Heilige Gottes.
Einheitsübersetzung, Johannes 6, 60-69
An vielen Stellen lobt die Bibel sich selbst. Wir erkennen sie ja an als „Wort Gottes“ – als ein vom Geist Gottes getragenes Kommunikationsgeschehen, durch das Gott selbst uns anspricht, erreicht und auch verändern kann. Nun feiert die Bibel selbst an vielen Stellen mit eindrücklichen Bildern das „Wort Gottes“ und lobt sich in gewisserweise damit selbst:
Wie Nahrung sei das Wort Gottes (Jer 15,16), man kann es in den Mund nehmen und es schmecke köstlich (Psalm 119,103). Wer es aufnimmt, in den würde Gott tief eindringen (Hebr 4,12 ), der könne mit ihm in Liebe eins werden (Joh 15,10). Im Austausch mit dem Wort Gottes, im Hören, offenem Empfangen und in der tätigen Antwort fände der Mensch zu einer Gottesnähe, die ihn leben lässt – für immer (Jes 55,3). Schöpferisch wirksam sei das Wort Gottes, es könne Leben schenken, selbst da, wo der Tod schon sein vernichtendes Werk getan hat (Ez 37,4). Das ist der Grundtenor zur Bedeutung des „Wort Gottes“, der die Bibel durchzieht.
Dieser Lobpreis des Wortes Gottes, diese begeisterte Verehrung ist kein theologischer Exzess, da sind nicht frommen Schreibern in biblischer Zeit die Pferde durchgegangen, vor lauter Begeisterung, sondern dahinter stehen immer wieder gemachte Erfahrungen, wie tief ein Wort uns unter die Haut gehen und Veränderung bewirken kann, wenn Menschen es aus innigster Gottesgemeinschaft weitersagen können.
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Um dieses schöpferisch lebendig machende Wort geht es in der Bibelstelle des heutigen Sonntags. Jesus nimmt für sich in Anspruch, dass seine Worte als „Wort Gottes“ göttliches Leben schenken.
Ungemein tröstlich finde ich, dass nicht alle Jünger Jesus zustimmen können, sondern einige sich auflehnen und Jesus widersprechen, sich schließlich sogar von ihm trennen.
Denn das Wort, das unter die Haut geht und Menschen mitreißt, sie Dinge glauben und tun lässt, die man ihnen nie zugetraut hätte, dieses haben nicht nur Gottes Heilige gepachtet, auch die Demagogen nutzen es für sich: von Hitler bis zur IS reißt es Menschen in einen Todesstrudel hinein. Das demagogische Wort lässt keine Freiheit, es manipuliert und seine Kraft ist die Gewalt. Es bestraft den Widerspruch.
Das machtvolle Wort Gottes dagegen, so zeigt es die Bibelstelle, dominiert und überfällt nicht. Es überzeugt, in dem es Widerspruch erzeugt, Unterscheidungsprozesse verlangt und eine freie Entscheidung einfordert: Die Jünger, die auf die Nachfrage Jesu „Wollt auch ihr weggehen?“ am Ende bleiben, antworten nicht emotional, sondern sehr nüchtern, wie Menschen, die eine schlichte, aufrichtige Bilanz ihrer gemachten Erfahrungen ziehen: „Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens.“
So einem Wort, das durch Enttäuschungen, durch Protest und kritisches Hinterfragen und selbst Ablehnung hindurch am Ende stehen bleibt, kann ich mich anvertrauen und den Jüngern zustimmen: Ich habe kein anderes Wort gefunden, das so lebendig macht.
Ina Eggemann