Großer Gott, warum?

Bibelfenster zum 2. April 2015

Es war die dritte Stunde, als sie ihn kreuzigten. Als die sechste Stunde kam, brach über das ganze Land eine Finsternis herein. Sie dauerte bis zur neunten Stunde. Und in der neunten Stunde rief Jesus mit lauter Stimme: Eloï, Eloï, lema sabachtani?, das heißt übersetzt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Einige von denen, die dabeistanden und es hörten, sagten: Hört, er ruft nach Elija! Einer lief hin, tauchte einen Schwamm in Essig, steckte ihn auf einen Stock und gab Jesus zu trinken. Dabei sagte er: Lasst uns doch sehen, ob Elija kommt und ihn herabnimmt. Jesus aber schrie laut auf. Dann hauchte er den Geist aus.

Einheitsübersetzung, Markus
15, 25.33-37

 

Jeden Tag passieren schlimme Dinge auf der Welt, sterben Menschen auf tragische Weise, verfallen Hinterbliebene in tiefe Trauer – und doch: wie so viele bin ich besonders entsetzt (trifft es das Wort? Ich weiß es gerade nicht…) über den Flugzeugabsturz in der vergangenen Woche. Von den Toten kenne ich niemanden; und natürlich spüre ich nicht die fassungslose Trauer (und Leere und Wut und…) der Angehörigen, ihr Schmerz ist nicht meiner. Und doch empfinde ich eine gewisse Verbundenheit, die ich nicht beschreiben kann.
Wieder einmal steht die Frage nach dem Warum bedrängend im Raum. Und sie bleibt wohl auch dann bestehen, wenn die Absturzursache geklärt ist. Der christliche Glauben entschärft diese Frage nicht, sondern verschärft sie noch: Wenn es einen – barmherzigen! – Gott gibt, warum lässt er Unglücke wie diese geschehen?

Am Palmsonntag wird weltweit die Leidensgeschichte Jesu vorgelesen. Auch das Kreuz ist für mich keine Antwort auf die Frage nach dem Übel, sondern selbst ein Übel. Wenn in Gottesdiensten die Liedzeile „Wir preisen deinen Tod“ ertönt, dann wird mir ganz anders: Was gibt es am qualvollen Verrecken eines Unschuldigen zu preisen? Den Tod Jesu verkünden, das kann ich schon; aber preisen will ich nur die Auferstehung.
„Im Kreuz ist Heil“, heißt es am Karfreitag – das ist für mich okay, denn Jesus hat den Tod auf sich genommen, und Gott hat ihn überwunden. Aber das Kreuz selbst bleibt Unheil. Ich weiß nicht, warum Gott in seiner Macht und Güte zulässt, was er selber nicht wollen kann. (Jedenfalls bewirkt er das Übel nicht, dieser feine Unterschied ist entscheidend für meinen Glauben!) Ich erwarte, dass Gott eine Antwort auf diese Frage hat und dass er sie einmal gibt (wohl nicht zu Lebzeiten, fürchte ich).

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Bis dahin habe ich immerhin mit Gott jemanden für mein Klagen und Anklagen, und jemanden für meine Sehnsucht und meine Hoffnung. Mit Gott wird Schweres nicht leicht, wird Sinnloses nicht einfach sinnvoll; aber ohne Gott wäre selbst mein Protest gegen Sinnlosigkeit sinnlos und damit würdelos. Denn zur Würde von Klagenden gehört, dass ihre Klage gehört wird, dass das „Warum“ einen Adressaten hat. Der Natur, dem Schicksal, sind Freud und Leid gleichgültig, Gott nicht!
Die Hoffnung, dass Leid und Tod nicht das Letzte sind, nimmt nicht den Schmerz. Umgekehrt muss der Schmerz nicht (dauerhaft) die Hoffnung nehmen; dafür bete ich. Zugleich weiß ich nicht, wie ich selbst reagieren würde, wenn mein Kind im Flieger gesessen hätte…

Martin Splett, Diözesancaritasverband