Mehr Anerkennung

Bibelfenster zum 19. Oktober 2015

Jakobus und Johannes, die Söhne von Zebedäus, traten nahe an Jesus heran und sagten zu ihm: „Lehrer, wir möchten, dass du uns eine Bitte erfüllst.“ Jesus fragte sie: „Was möchtet ihr denn? Was soll ich für euch tun?“
Sie antworteten ihm: „Lass uns rechts und links neben dir sitzen, wenn du regieren wirst in deiner Herrlichkeit.“ Aber Jesus sagte zu ihnen: „Ihr wisst nicht, um was ihr da bittet.“ … Die anderen zehn hörten das Gespräch mit an und ärgerten sich über Jakobus und Johannes. 

Basisbibel, Markus 10,35-41 – gekürzt

Wünschen Sie sich nicht auch manchmal, dass Sie mehr Anerkennung erfahren – für Ihre berufliche Leistung? Für Ihr ehrenamtliches Engagement? Oder einfach für Ihre Hilfsbereitschaft in Familie und Nachbarschaft?

Wie funktioniert das? Wie erfahren wir „Anerkennung“? Ein Lob tut sicher gut, das Vertrauen der anderen, das Übertragen von Verantwortung, manchmal ein Geschenk oder eine öffentliche Ehrung – das zeigt Wertschätzung. Im betrieblichen Bereich raten Unternehmensberater Anerkennung so zu zeigen:  „Bieten Sie Privilegien“ – ein Dienstwagen, ein besseres Büro, ein Diensthandy: „Irgendetwas zu dürfen oder zu erhalten, was für andere tabu ist, motiviert ungemein und wird als Anerkennung wahrgenommen.“

Im Evangelium des Sonntages sehe ich die  Jünger, die Jesus bitten, rechts und links an seiner Seite sitzen zu dürfen, in dieser Perspektive: Sie wünschen sich ein Privileg, etwas, das ihnen und nicht den anderen gewährt wird, um die Anerkennung Jesu zu erfahren.

Das Bibelfenster

Hier kommentieren jede Woche Menschen aus dem Bistum Osnabrück eine Bibelstelle aus einer der aktuellen Sonntagslesungen – pointiert, modern und vor allem ganz persönlich.

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Den Sitzplatz in der Nähe einer bedeutenden Persönlichkeit einnehmen zu dürfen, war in vielen Epochen und Kulturen eine geläufige Form der Anerkennung und wird auch heute noch so erfahren. Auch ich reagiere empfindsam auf diese Form der Anerkennung: Bei einem gesellschaftlichen Ereignis achte ich schon darauf, welchen Platz man mir zuweist. Oder wer neben dem Bürgermeister, dem Bischof oder dem Referenten sitzt – und mache mir meinen Reim darauf.

Macht es eigentlich einen Unterschied, ob die Jünger aus Machtstreben einen Ehrenplatz oder durch ein Privileg Anerkennung erfahren wollten? Vielleicht schon – pures Machtstreben sehen wir eher kritisch, das Bedürfnis nach Anerkennung dagegen bejahen wir: Kinder brauchen sie, um ein gesundes Selbstwertgefühl zu entwickeln, Ehrenamtliche, um in ihrem Dienst gestärkt zu werden, Mitarbeiter, um motiviert zu arbeiten.

Natürlich brauchen Jüngerinnen und Jünger Jesus ebenso Anerkennung. Aber nicht durch Privilegien, die entstehen, dass dem einen zuerkannt wird, was dem anderen verwehrt wird: sei es im Betrieb der Dienstwagen oder gesellschaftlich Zeit und Aufmerksamkeit der wichtigen Leute. Heute ist es ja nicht so sehr der Ehrenplatz, sondern oft die Gesprächsdauer mit einer wichtigen Persönlichkeit, die signalisiert, wie bedeutsam jemand ist. Jener hat länger mit dem Papst geredet als dieser – und auch der Bundespräsident war stolz, dass Obama mehr Zeit für ihn hatte als für XY …!

Jesus hat solche Gunstbeweise, die Menschen gegeneinander ausspielen, in Wettbewerb und Konkurrenz bringen, nicht zu verteilen. „Ihr seid meine Freunde, weil ich euch alles mitgeteilt habe, was ich von meinem Vater mit bekommen habe“ (Joh 15,15) sagt Jesus an einer Stelle. Das ist seine Weise, Anerkennung zu schenken. Er gewährt volle Schicksalsgemeinschaft und teilt alles mit allen: die Fülle seiner Gotteserfahrung und Menschenliebe, auch seine Lebenshingabe. Nicht viele waren und sind wirklich an diesem Privileg interessiert. Auch die Zebedäussöhne dachten noch einmal darüber nach …!

Ina Eggemann