Das Gespür für das Wesentliche
Bibelfenster zum 17. April 2015
Thomas, genannt Didymus (Zwilling), einer der Zwölf, war nicht bei ihnen, als Jesus kam. Die anderen Jünger sagten zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er entgegnete ihnen: Wenn ich nicht die Male der Nägel an seinen Händen sehe und wenn ich meine Finger nicht in die Male der Nägel und meine Hand nicht in seine Seite lege, glaube ich nicht. Acht Tage darauf waren seine Jünger wieder versammelt, und Thomas war dabei. Die Türen waren verschlossen. Da kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte: Friede sei mit euch! Dann sagte er zu Thomas: Streck deinen Finger aus – hier sind meine Hände! Streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! Thomas antwortete ihm: Mein Herr und mein Gott! Jesus sagte zu ihm: Weil du mich gesehen hast, glaubst du. Selig sind die, die nicht sehen und doch glauben.
Einheitsübersetzung, Johannes 20, 24-29
„Ich glaube nur, was ich sehe!“ – „Glauben heißt, nicht wissen!“ – „Mit Ungereimtheiten gebe ich mich nicht ab, ich bevorzuge Fakten!“ – diese „Thomas“-Sprüche sind aktueller denn je. Unsere Zeit ist voller solcher Skeptiker. Jedes Mal, wenn ich solche Sprüche höre, denke ich: Kann ich denn die Liebe zu meinen Kindern anfassen? Die Zuneigung, das Glück, die Treue, die meinen Mann und mich verbindet, wer von uns beiden will die denn beweisen? Oder gar ein Dritter? Oder das Band einer tiefen Freundschaft? Ist es nicht unsichtbar und dennoch da? Machen solche Thomas-Jünger nie die Erfahrung dieser Wirklichkeit, die uns bis tief ins Herz bewegt und trotzdem ganz und gar nicht zu beweisen ist?
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Zwei Dinge gefallen mir an Jesus in dieser Szene besonders. Zuerst: Er gibt Thomas, was er braucht. Er lässt sich anfassen. Das heißt er nimmt ihn ernst, auch wenn dieser Jünger noch einiges zu lernen hat. Aber dann: Jesus steht für diese unsichtbare Wirklichkeit ein. Selig sind, die ein Gespür für das Wesentliche haben. Die sich einlassen auf die ungesicherte Wirklichkeit der Liebe. Die man nicht absichern, nicht einrahmen, nicht festnageln kann – die immer neu und mit ganzem Einsatz gewagt sein will. Selig sind, die glauben, weil es so unendlich mehr und schöner und wirkmächtiger ist als alles, was sich nur beweisen lässt.
Martina Kreidler-Kos,
Frauenseelsorge/Ehe- und Familienpastoral