Die Spannung steigt
Bibelfenster zum 6. Juni 2014
Als Jesus in den Himmel aufgenommen war, kehrten die Apostel vom Ölberg, der nur einen Sabbatweg von Jerusalem entfernt ist, nach Jerusalem zurück. Als sie in die Stadt kamen, gingen sie in das Obergemach hinauf, wo sie nun ständig blieben: Petrus und Johannes, Jakobus und Andreas, Philippus und Thomas, Bartholomäus und Matthäus, Jakobus, der Sohn des Alphäus, und Simon, der Zelot, sowie Judas, der Sohn des Jakobus. Sie alle verharrten dort einmütig im Gebet, zusammen mit den Frauen und mit Maria, der Mutter Jesu, und mit seinen Brüdern.
Einheitsübersetzung, Apostelgeschichte 1,12-14
Welch konspirative Runde! Ich kann mir direkt vorstellen, wie sie da zusammensitzen, die Männer und Frauen, die Jesus nahe gestanden haben. In einem kleinen Kämmerlein unter dem Dach haben sie sich versammelt, unterhalten sich nur flüsternd, blicken einander unsicher an – irgendwie ratlos und rastlos ob der Ereignisse der vergangenen Tage: erst das Entsetzen über Jesu Kreuzigung, dann der Schock der Auferstehung und schließlich seine Himmelfahrt. Was hat das zu bedeuten? Wird Ihnen jemand glauben, wenn sie das erzählen? Sie können es ja selbst kaum glauben! Und überhaupt: Darf man darüber sprechen, sind sie nicht alle in Gefahr, genau wie Jesus wegen Gotteslästerung angeklagt und bestraft zu werden? Was sollen sie jetzt tun? Zweifel. Und gleichzeitig das Gefühl: Da ist etwas, das ist viel Größer als wir und als alles, was wir begreifen können. Der Zauber, dem sie beigewohnt haben, entfaltet seine Wirkung, nimmt sie gebannt gefangen. So verharren sie einmütig im Gebet, jeder für sich im Zwiegespräch mit Gott, alle gemeinsam in gespannter Erwartung des Kommenden.
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Ganz ähnlich geht es heute vielleicht den Gläubigen in Jerusalem: Franziskus war da und hat Eindruck hinterlassen: mit seinem spontanen Gebet am Grenzzaun in Bethlehem, durch den Besuch der Klagemauer mit einem befreundeten Rabbiner und einem Imam, die ihn auf seiner Reise begleiten, durch sein Zusammentreffen mit dem orthodoxen Patriarchen Bartholomäus I und natürlich durch seine Einladung an Palästinenserpräsident Mahmud Abbas und den israelischen Staatspräsidenten Schimon Peres zum gemeinsamen Friedengebet im Vatikan. Nun ist der Papst wieder abgereist und zurück bleibt eine heimliche Spannung: Was wird der Besuch auf lange Sicht bringen? Eine Wende im Nahostkonflikt? Eine Annäherung zwischen Israelis und Palästinensern, zwischen Christen, Juden und Muslimen? Man wagt es kaum zu denken, so unglaublich scheint eine Auflösung des seit Jahrzehnten schwelenden Konflikts. Aber vielleicht entsteht in den Köpfen aller Beteiligten ja gerade etwas, das größer ist, als jeder alleine es sich vorstellen kann? In jedem Fall bleibt zu hoffen, dass zumindest alle für ein friedliches Miteinander beten – jede Religion für sich in ihrem Zwiegespräch mit Gott, alle gemeinsam in gespannter Erwartung des Kommenden.
Annika Lippmann