Wer bist du?
Bibelfenster zum 14. Dezember 2011:
Ein Mensch trat auf, den Gott gesandt hatte. Er hieß Johannes. Dieser Mensch trat als Zeuge für das Licht auf. Er selbst war nicht das Licht… Und so bezeugte Johannes, wer er selbst war: Aus Jerusalem sandten die jüdischen Behörden Priester und Leviten zu Johannes. Sie sollten ihn fragen: Wer bist du eigentlich?“ Er antwortete frei heraus und wahrheitsgemäß. Er bekannte: „Ich bin nicht der Christus.“
BasisBibel, Johannes 1,6-8;19-20
In einer Berufsschulklasse tauschten sich EinzelhandelsschülerInnen aus. Einige saßen oft an der Kasse. Interessanterweise wurde diese Tätigkeit in den Betrieben ganz unterschiedlich bewertet: Man „durfte schon“ an der Kasse sitzen – es war ein Zeichen der Wertschätzung: Dir kann man etwas anvertrauen, du kannst etwas. In anderen Betrieben war die Wertung umgekehrt: wer an der Kasse saß, war nicht fit genug für andere Aufgaben, er durfte „nur Kasse machen“.
Mich erinnerte das an die teilweise lächerlich anmutenden, rituellen Höfämter der einflussreichen Adeligen im Mittelalter: wer dem König im Schlafzimmer die Pantoffeln oder beim Essen, das Tuch reichen durfte – der war wer.
Frei von diesem Drang, sich über Titel, Beruf oder andere wertgeschätzte Äußerlichkeiten vorzustellen und damit zu signalisieren: „Ich bin wer!“, ist wohl keine Gesellschaft und kein einzelner Mensch. Die biblischen Texte des dritten Adventssonntages legen jedoch eine andere Spur für das eigene Selbstverständnis und ermutigen zu einem eigenartigen Selbstbewusstsein.
Johannes der Täufer wird mit Fragen gelöchert: „Wer bist du eigentlich?“ Alle Lichtgestalten werden ihm angeboten: Der Messias? Der letzte Prophet? Elias? Und Johannes weiß genau, wer er ist und wer er nicht ist: Er kann sich abgrenzen: „Nein, der bin ich nicht“, und er kann sich positiv selbst bestimmen als ein „Zeuge für das Licht“.
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Warum waren die Leute überhaupt so verwirrt über Johannes? Er tat Dinge und bewirkte Veränderungen, die man nur dem Messias zutraute. Hat Johannes sich eine falsche Würde angemaßt? War er ein Hochstapler?
Die christliche Tradition hat in Johannes eine Schlüsselfigur für ein christliches Lebensprogramm gesehen, das oft missbraucht und missverstanden wurde: Demut – für manche ein Unwort der Christenheit.
Dabei ist Demut keine rückgratlose Kriecherei gegenüber Autoritäten. Eine der selbstbewusstesten Frauen der Christenheit und dazu noch eine stolze Spanierin und Adelige, Teresa de Avila, definiert Demut als ein „Unterwegssein in der Wahrheit“.
Welche Wahrheit?
Ich bin nicht Gott, aber Gott ist ganz in mir. Ich bin nichts aus mir selbst und zugleich wachse ich mit Gott über mich hinaus. Frei von Selbstherrlichkeit und zugleich mit einem riesigem Selbst- und Sendungsbewusstsein.
In diesem Spannungsfeld unterwegs sein. Das ist Demut. Es bedeutet, sich mit dem Selbstbewusstsein der Demütigen aus den Ritualen der Wichtigkeit in Gesellschaft und Kirche zu befreien und das zu tun, wozu Gott das Licht schenkt – auch wenn es Verwirrung schafft: „Wer bist du eigentlich?“
Ina Eggemann