Windhauch, alles Windhauch

Bibelfenster zum 4. August 2016:

Windhauch, Windhauch, sagte Kohelet, Windhauch, Windhauch, das ist alles Windhauch. Denn es kommt vor, dass ein Mensch, dessen Besitz durch Wissen, Können und Erfolg erworben wurde, ihn einem andern, der sich nicht dafür angestrengt hat, als dessen Anteil überlassen muss. Auch das ist Windhauch und etwas Schlimmes, das häufig vorkommt.
Was erhält der Mensch dann durch seinen ganzen Besitz und durch das Gespinst seines Geistes, für die er sich unter der Sonne anstrengt?
Alle Tage besteht sein Geschäft nur aus Sorge und Ärger, und selbst in der Nacht kommt sein Geist nicht zur Ruhe. Auch das ist Windhauch.

Einheitsübersetzung, Kohelet 1,2; 2,21-23

 

Die meiste Zeit meines Lebens und Arbeitens habe ich hinter mir. Die meisten Jahre waren gute, manchmal sehr gute Jahre. Darum kann ich durchaus zufrieden zurückblicken. Das ist die eine Seite.
Und die andere? Was ist geblieben von allem, was ich getan habe? Was ist aus den Kindern, den Jugendlichen, den Erwachsenen geworden? Manche sind bereits verstorben; manche Jugendliche habe ich aus den Augen verloren. Andere sind eigene und ganz andere Wege gegangen. Ich bin darüber auch enttäuscht. Und manche sind den damaligen Erfahrungen treu geblieben.

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Im Buch Kohelet finde ich Gedanken voller Lebensweisheit; aber ich kann Kohelet auch als einen  Pessimisten ohne jede Perspektive sehen. Wenn doch alles  Windhauch  ist, dann lohnt sich doch kein Einsatz, keine Anstrengung; denn am  Ende ist ja alles vergeblich. Da ist im gehörten Abschnitt die Rede von einem Menschen, der sich angestrengt und gearbeitet hat, er war tüchtig und fleißig. Mit „Wissen, Kenntnis und Sachverständnis“ hat er es zu etwas gebracht. – Aber wie geht es mit ihm weiter?
„Es kommt vor“ – so heißt es hier – „dass er seinen Besitz einem anderen überlassen muss, einem, der nicht dafür gearbeitet hat“. Schon mit diesem Satz ist alles auf den Kopf gestellt; – und wir, die wir das hören, wir werden auf einmal in unsere Zeit und in unser Leben versetzt; denn so etwas kommt doch auch heute noch vor, und dies wird oft als Unglück empfunden, als „etwas Schlimmes“, wie es Kohelet bezeichnet.

Und was höre ich häufiger: Nimm deine Arbeit, deine Karriere doch nicht als das Allerwichtigste im Leben! Was überaus bedeutsam ist, das wird hier relativiert; die eigenen Aktivitäten und Leistungen, Wissen, Kompetenz und Erfolg.
Alles wird im Wort des Papstes Johannes XXIII. aufgehoben: „Giovanni, nimm dich nicht so wichtig!“

„Windhauch, alles ist Windhauch“ – so ruft uns heute Kohelet entgegen. Dieser kritische und skeptische Zwischenruf will uns davor warnen, dass wir in die falsche Richtung schauen; er will uns davor warnen, dass wir uns im Vorläufigen und Diesseitigen verlieren. Windhauch – dieser Zwischenruf will uns aufrütteln und uns einladen, dahin zu schauen, wo die Quellen des Lebens fließen.
Manchmal ist das allerdings leichter gesagt als getan. Da kenne ich mich zu gut!

Klaus Warning, Pastor in Teilzeit