Das Licht in der Finsternis
An dieser Stelle finden Sie die Weihnachtspredigt von Bischof Franz-Josef Bode vom 25. Dezember 2018 im Dom zu Osnabrück. Er nimmt Bezug auf das Johannesevangelium, Kapitel 1, Verse 1 bis 18:
Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott. Dieses war im Anfang bei Gott. Alles ist durch das Wort geworden und ohne es wurde nichts, was geworden ist. In ihm war Leben und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst. Ein Mensch trat auf, von Gott gesandt; sein Name war Johannes. Er kam als Zeuge, um Zeugnis abzulegen für das Licht, damit alle durch ihn zum Glauben kommen. Er war nicht selbst das Licht, er sollte nur Zeugnis ablegen für das Licht. Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt. Er war in der Welt und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf. Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben, die nicht aus dem Blut, nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind. Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt und wir haben seine Herrlichkeit geschaut, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit. Johannes legt Zeugnis für ihn ab und ruft: Dieser war es, über den ich gesagt habe: Er, der nach mir kommt, ist mir voraus, weil er vor mir war. Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen, Gnade über Gnade. Denn das Gesetz wurde durch Mose gegeben, die Gnade und die Wahrheit kamen durch Jesus Christus. Niemand hat Gott je gesehen. Der Einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht.
In diesen Zeiten bekomme ich leicht eine Allergie, eine Allergie gegen große Worte, gegen aufgepumpte Reden mit viel heißer Luft.
Niemand will sie hören, nicht im persönlichen Umfeld, nicht in der gegenwärtigen Lage der Kirche und auch nicht in Gesellschaft und Politik.
Es gibt einen ,Trumpismus der Reden‘, der heute etwas anpreist und es morgen wieder verwirft. Viele große Worte sind hohl geworden und wecken kein Vertrauen mehr.
Solche Worte kennen wir auch in der Kirche. Worte, die Antworten geben auf Fragen, die niemand gestellt hat. Worte, die mehr von Finden als vom Suchen sprechen, die mehr Sieg als Mühe und Ringen verkünden, die weit mehr die Herrlichkeit als den Alltag kennen.
Manchmal geht es mir sogar mit den feierlichen ersten Sätzen des Johannesevangeliums so, die wir jedes Jahr am 1. Weihnachtstag hören:
Das Wort begegnet vielen doch nur noch in Wörterfluten,
Licht nur noch in der Beleuchtung, die die Nacht zum Tag macht,
und das Leben wird zur Verfügungsmasse der Wegwerfgesellschaft.
Die Welt ist nicht mehr die Weite des Ganzen, sondern nur noch mein kleines Um-mich-Herum,
Macht begegnet ausschließlich im Negativ als missbrauchte Macht, als Gewalt,
Herrlichkeit ist eine Chiffre für Herrschaft und Reichtum, für Obenauf-sein.
Gnade ist aus dem Wort- und Erfahrungsschatz gestrichen,
und die Wahrheit hat gegen die ungeniert vorgetragenen Unwahrheiten kaum noch eine Chance.
Sie merken, liebe Schwestern und Brüder, ich habe acht Stichworte, ,große Worte‘, aus dem Evangelium genommen, die uns die wirkliche Aufnahme und Annahme der Frohen Botschaft eigentlich eher schwer machen.
Und doch: Dieser Text darf nicht zur Deklamation großer Worte verkommen, weil er so viel Wirklichkeit enthält. Er verschweigt nicht die Finsternis, die sich dem Licht verweigert. Er macht Johannes, den Menschen, nicht zu einem gottgleichen Star, sondern zeigt einen, der in aller Demut auf wirkliches Licht hinweist. Der Text spricht deutlich von der gestörten Wahrnehmung des Geheimnisses Gottes durch die Menschen und von der Abweisung und Abgrenzung dessen, der als Urheber der Welt auf eben diese Welt zugeht, um sie zu retten.
Weihnachten ist eben nicht das Fest der großen Worte, die nichts bewirken, sondern das Eintauchen des Hohen und Erhabenen in den Abgrund menschlicher und weltlicher Realität.
Ich fand dieses Eintauchen Gottes in unsere Welt, die wirkliche Fleischwerdung des Wortes, eindrücklich beschrieben von einer Theologin aus der Schweiz:
Weihnachten – da beugt sich der Himmel zur Erde,
da stülpt sich die Allmacht in Ohnmacht um,
löst sich das Gesetz in Liebe auf
und das Wort wird zum Leib,
zum Leib mit Blutgruppe und Schilddrüse,
mit Herzkammern und Lungenflügeln.Weihnachten – da weitet sich die eine heilige Nacht in alle die gewöhnlichen Nächte und Tage aus,
da sprengt ein Himmel die Türen der Tabernakel und flüchtet sich
zu den Pennern in die windgeschützten Ecken der U-Bahn-Station.
Da schleicht sich der kleine Gott zwischen den Plastikheiligen aus allen den Krippen davon und geht sich verstecken in richtige Menschen.
In Kindern, Frauen und Männern, die an Heiligabend ihre Einsamkeit gegen eine Zellentür hämmern,
die im Staub unter Trümmern kauern,
in Suppenküchen mit einem Stück Brot die Bratensoße auftunken
oder sich am Stehtisch in der Bahnhofshalle an der neunten Flasche Bier festhalten.Weihnachten – da geht es nicht um Lametta, sondern um Licht,
nicht um Sonntag, sondern um Alltag,
nicht um Kult, sondern um Beziehung,
nicht um Gerührt-Sein, sondern um Bewegt-Werden.Und in der Krippe liegt nicht allein ein Kind.
In der Krippe liegt auch ein Bruder, liegen das Recht und die Liebe.
Und es ist nicht unendliche Ferne, die das Geheimnis Gottes meint,
sondern unsagbare Nähe.Jacqueline Keune, Auf der Ägypten-Route, in: Bibel heute 216, 4/2018, S. 29
Unsagbare Nähe! Das ist das Geheimnis der Weihnacht, das Geheimnis unseres Gottes.
Wer das an diesem Fest wieder neu erahnt, der wird anders ins Neue Jahr gehen, nicht hochmütig, besserwisserisch, klerikal und vielredend, sondern demütig, fragend, suchend und mit viel Schweigen angesichts der Herausforderungen, die sich uns auf allen Ebenen stellen.
„Niemand hat Gott je gesehen. Der Einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht.“
Das heißt, auch heute wird niemand Kunde vom barmherzigen Gott geben können, der sich nicht Gott anvertraut und am Herzen des Vaters ruht, eben ganz wie der Sohn, der Mensch geworden ist. Niemand wird ohne große Worte Kunde von Weihnachten geben können, der nicht den Alltag, die Finsternis, dass Chaos der Liebe wagt, um dort Glauben und Vertrauen, Hoffnung und Liebe durch sein eigenes Zeugnis zu verbreiten.
Kirche nennt sich seit alters her Geschöpf oder Braut des Wortes, das Fleisch geworden ist. Gerade in diesen Zeiten der Erschütterungen über die Verfehlungen, Vergehen, ja Verbrechen von kirchlichen Personen verbietet es sich für die Braut des menschgewordenen Gottes um so mehr, sich in Macht und Herrlichkeit, in großen Worten und klerikalem Gehabe der Wirklichkeit der Menschen bemächtigen zu wollen.
Kirche kann in Demut nur der Hinweis auf das Licht sein; sie ist nicht selbst das Licht.
Sie kann nur in der Verwundbarkeit des Fleisches leben und muss sich bewusst bleiben, dass niemand Gott je gesehen hat, ihn, den immer Anderen und Größeren.
Unsere Antwort als Kirche – und zwar aller Getauften, Gefirmten, Beauftragten, Gesendeten und Geweihten – auf die Weihnacht ist die Haltung der Hirten und Könige: Es ist die Anbetung dessen, der für alle gekommen ist, der alle zu sich kommen lässt, der nicht ausgrenzt und abgrenzt, sondern einlädt und aufnimmt.
Das ist mir in den letzten Tagen neu deutlich geworden an einem Gedicht von Werner Bergengruen, das mir jemand geschenkt hat:
Scheue dich nicht, mich anzugehen.
Meine Wohnung ist nicht klein.
Willst du aber draußen stehen:
auch dies Draußen, es ist mein.Wohl empfang ich, die gereinigt
nie begangne Schuld gebüßt.
Doch es sind, die mich gesteinigt,
gleichermaßen mir gegrüßt.Wenn die letzten Tuben tönten
von beglühten Wolkenspitzen,
werden auch die Unversöhnten
mit an meinem Tische sitzen.
… werden auch die Unversöhnten mit an meinem Tische sitzen.
Lassen wir uns, liebe Schwestern und Brüder, an dieser Weihnacht von dieser Vision neu ergreifen!
Lassen wir uns ermutigen von dem echten großen Wort Gottes, das trotz aller Vergehen von Menschen in Kirche und Gesellschaft niemals vergehen wird:
Die Botschaft von Gott, der die Größe hat sich klein zu machen, um die Kleinen groß zu machen.
Amen.