Denen beistehen, die alles verloren haben
Michael Randelhoff arbeitet als Pastoralreferent und Diözesanbeauftragter für die Notfallseelsorge im Bistum Osnabrück. Ehrenamtlich ist er Mitglied beim Technischen Hilfswerk (THW) in Melle. Mit seinem Ortsverband war er jetzt einige Tage als Helfer im Überschwemmungsgebiet tätig. Was er dort erlebt hat, wie man helfen kann, ohne vor Ort zu sein, was die Notfallseelsorge leistet und warum ihn auch sein Glaube für solche Einsätze motiviert, erzählt er hier:
Herr Randelhoff, was war ihre Hauptaufgabe als Helfer im Überschwemmungsgebiet?
Ich bin Mitglied im Ortsverband Melle des Technischen Hilfswerks und gehöre zum Fachzug Führung und Kommunikation. Im Kreis Euskirchen koordinierten wir die Arbeit der dort eingesetzten THW-Helferinnen und Helfer. Das heißt, wir schauten, dass die Hilfe dort ankam, wo sie gebraucht wurde. Außerdem stimmten wir sie mit den Behörden und auch der Bundeswehr ab. Die bis zu 650 Ehrenamtlichen sind dort mit dem Erkunden und Begutachten von Schäden an Gebäuden und Infrastruktur, der Notstromversorgung, dem Leerpumpen von Gebäuden und Einrichtungen, Freilegen von Bach- oder Flussbetten, Wiederherstellen von Rettungswegen und Infrastruktur, Sandsackfüllen, der Überwachung von Wasserpegeln und vielem anderen beschäftigt.
Nach ihrer Einschätzung: Welche Hilfen sind für die nächsten Wochen und Monate vor Ort noch erforderlich?
Ein Satz, der während der Tage immer wieder fiel, war: „Das sieht aus, wie im Krieg.“ Das Ausmaß der Zerstörung macht deutlich, dass alleine das Wegschaffen von Schlamm, Trümmern und Unrat viel Zeit brauchen wird. Viele Gebäude müssen abgerissen werden. Dauerhafte Strom- und Wasserversorgung, Zugang zu Telekommunikation und Internet müssen wiederhergestellt werden. Ganze Straßen existieren nicht mehr, Brücken sind zum Teil nicht mehr befahrbar oder völlig zerstört. Ich denke, dass alleine das notdürftige Einrichten von Ersatzlösungen eine Mammutaufgabe für die kommenden Monate ist. Da sprechen wir dann noch nicht vom Wiederaufbau.
Wie kann man die Menschen im Überschwemmungsgebiet unterstützen, ohne direkt vor Ort Hilfe zu leisten?
Es gibt verschiedene Aktionsbündnisse, die Spenden sammeln. Auch der Caritasverband der Diözese Osnabrück unterstützt Flutopfer in den betroffenen Gebieten. Und es gab auch Aufrufe zu Sachspenden. Die große Resonanz auf die Aufrufe war für die Helfenden vor Ort überwältigend und stellte sie bei der Sortierung und Verteilung dann vor eigene Herausforderungen.
Wie hilft die Notfallseelsorge vor Ort?
Notfallseelsorgende stehen den Menschen bei und haben Trauer und Schmerz, Angst und Verzweiflung mit ausgehalten – über den Verlust von geliebten Menschen, den Verlust der Existenzgrundlage, den Verlust des eigenen Hauses und damit eines sicheren Ortes im Leben. Über das Erlebte und die damit verbundenen Gefühle zu sprechen, ist ein wesentlicher Baustein für eine Verarbeitung der Hilflosigkeit, Ohnmacht, ja auch Todesangst, der die Menschen ausgeliefert waren.
Behutsam versuchen Kolleginnen und Kollegen, die Betroffenen ein Stückweit wieder erfahren zu lassen, dass sie selbst handeln können und dem Schicksal nicht ausgeliefert sind. Sie sollen wieder etwas Struktur in dem ganzen Chaos erleben. Seelsorge ist dabei nicht beschränkt auf Geistiges oder Geistliches, sondern nimmt die Bedürfnisse des ganzen Menschen in den Blick.
Notfallseelsorgende begleiten bei Abschieden, so sie in der momentanen Situation überhaupt möglich sind: von geliebten Menschen, die noch nicht bestattet werden können, von Orten, die es vielleicht gar nicht mehr gibt, weil ganze Häuser einfach weggeschwemmt wurden oder versunken sind, von Arbeitsplätzen, die nicht mehr existieren.
Und die Seelsorgerinnen und Seelsorger vermitteln in weitere, über diese akute Situation hinausgehende, Unterstützungs- und Hilfesysteme, die den Betroffenen langfristig bei der Bewältigung der Erfahrungen zur Seite stehen.
Weitere Infos
… zur Notfallseelsorge in Niedersachsen und Bremen finden Sie hier.
Welche Aufgabe hat die Notfallseelsorge des Bistums Osnabrück in diesem Zusammenhang?
Zur Zeit beschränkt sich unser Dienst als Notfallseelsorgende des Bistums darauf, für zurückkehrende Einsatzkräfte aus den Schadensgebieten zur Nachsorge zur Verfügung stehen, um die Bilder und Eindrücke aus dem Einsatzgeschehen verarbeiten zu können.
Motiviert Sie persönlich auch ihr Glaube, den Menschen vor Ort im Überschwemmungsgebiet zu helfen?
In vielen Erzählungen der Bibel wird deutlich, dass Gott um die Nöte seines Volkes weiß, dass er die laute Klage der Menschen hört und immer wieder Menschen in den Dienst nimmt, die anderen beistehen, ihnen helfen, sie trösten und begleiten … Ich weiß mich auch gesandt und das ist für mich einerseits Motivation und auch ein Stück weit Herausforderung, wenn ich als Notfallseelsorger immer wieder in Situationen komme, in denen Leid und Tod über Menschen hereingebrochen ist. Andererseits schenkt mir der Gedanke, dass Gott der ‚Ich bin da‘ ist, der gerade in solchen Begegnungen auch präsent ist, Entlastung, da ich nicht alles wissen oder leisten muss, also sozusagen nicht der bin, der die ‚ganze Welt‘ retten muss.
Ein Gebet, dass mich in solchen Situationen begleitet, stammt von Father Mychal Judge. Er war Franziskaner und Seelsorger der New Yorker Feuerwehr, der an 9/11, dem Anschlag auf das World-Trade-Center am 11. September 2001, im Einsatz bei seinen Kameraden einen Herzstillstand erlitt: „Herr, nimm mich dahin, wohin ich gehen soll, lass mich die treffen, die ich treffen soll, sage mir, was ich sagen soll, und lass mich dir nicht im Wege stehen! Amen.“