Die Menschwerdung Gottes
In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: „Wenn der Menschensohn in seiner himmlischen Herrlichkeit, begleitet von allen Engeln, kommt, dann wird er in königlichem Glanz auf seinem Thron Platz nehmen. Alle Völker werden vor ihm versammelt werden, und er wird die Menschen in zwei Gruppen teilen, so, wie ein Hirte die Schafe von den Böcken trennt. Zu seiner Rechten werden die Schafe und zu seiner Linken die Böcke stehen. Dann wird der königliche Richter zu denen auf der rechten Seite sagen: ‚Kommt, ihr Freunde Gottes! Euch hat mein Vater gesegnet. Nehmt die neue Welt Gottes in Besitz, die er seit Erschaffung der Welt für euch bereithält!
Denn als ich hungrig war, habt ihr mir zu essen gegeben.
Als ich Durst hatte, bekam ich von euch zu trinken.
Ich war ein Fremder bei euch, und ihr habt mich aufgenommen.
Ich hatte nichts anzuziehen, und ihr habt mir Kleidung gegeben.
Ich war krank, und ihr habt mich besucht.
Ich war im Gefängnis, und ihr seid zu mir gekommen.‘
Dann werden sie, die nach Gottes Willen gelebt haben, fragen: ‚Herr, wann haben wir dich jemals hungrig gesehen und dir zu essen gegeben? Oder durstig, und wir gaben dir zu trinken? Wann haben wir dir Gastfreundschaft gewährt, und wann haben wir dir Kleider gebracht? Wann warst du je krank oder im Gefängnis, und wir haben dich besucht?‘
Der König wird ihnen dann antworten: ‚Das will ich euch sagen: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder oder für eine meiner geringsten Schwestern getan habt, das habt ihr für mich getan!‘ Zu denen auf seiner linken Seite aber wird er sagen: ‚Geht mir aus den Augen, ihr Verfluchten! Weg mit euch ins ewige Feuer, das für den Teufel und seine Engel bestimmt ist!
Denn ich war hungrig, aber ihr habt mir nichts zu essen gegeben.
Ich war durstig, aber ihr habt mir nichts zu trinken gegeben.
Ich war ein Fremder unter euch, aber ihr habt mich nicht aufgenommen.
Ich hatte nichts anzuziehen, aber ihr habt mir keine Kleidung gegeben.
Ich war krank und im Gefängnis, aber ihr habt euch nicht um mich gekümmert.‘
Dann werden auch sie ihn fragen: ‚Herr, wann haben wir dich jemals hungrig oder durstig gesehen, oder als Fremden oder ohne Kleidung, krank oder im Gefängnis, und haben dir nicht geholfen?‘ Darauf wird ihnen der König antworten: ‚Das sollt ihr wissen: Die Hilfe, die ihr meinen geringsten Brüdern oder meinen geringsten Schwestern verweigert habt, die habt ihr mir verweigert.‘ Und sie werden in ewiger Verzweiflung enden; aber die Gottes Willen getan haben, erwartet neues, unvergängliches Leben.“
Matthäus 25, 31-46 in: Albert Kammermayer, Das Neue Testament. Eine Übersetzung, die unsere Sprache spricht, Don-Bosco-Verlag 2005
Die biblischen Texte am Ende des Kirchenjahres sind keine Wohl-Fühl-Texte. Sie passen zum Wetter, das uns mit den dunklen, nassen und mitunter kalten Tagen herausfordert. Die Sonne zeigt sich nur selten. Auch der heutige, sehr bekannte Bibeltext ist für bestimmte Ohren sperrig und beinhaltet in Anlehnung an Fulbert Steffensky eine „Schwarzbrot-Theologie“. Es ist kein Text, der sich einfach schnell lesen lässt und mich dann mit einem guten Gefühl in Ruhe lässt. Nein, dieser Text bringt mich aus meinem „emotionalen Gleichgewicht“.
Auf welcher Seite, um in dem Bild Jesu zu bleiben, ich mich am Ende wiederfinde, liegt nicht bei G-tt, sondern bei mir. Die Botschaft Jesu ist eindeutig. Im Schrei der Menschen nach Zuwendung, nach Hilfe und Gerechtigkeit kommt mir auch immer G-tt entgegen. Wie entscheide ich mich? Was tue ich und was tue ich nicht?
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Dieser Bibeltext vom sogenannten „Weltgericht“ ist im zweifachen Sinn ein Mensch-werdungs-Text. G-tt ist in jedem Menschen zugegen, besonders in den Menschen, die die Solidarität der anderen benötigen. Und der Andere, der hinschaut, wird durch seine liebende Hinwendung immer mehr zu einem Menschen, der Gott gefällt, weil er das nach Außen lebt, was G-tt in ihm angelegt hat.
Somit erinnert uns dieses Sonntagsevangelium am Ende des Kirchenjahres an das, was wir im neuen Kirchenjahr an Weihnachten feiern: die Menschwerdung G-ttes. Lassen wir uns durch Jesu Wort irritieren und herausfordern! Denn „wenn die Musik des Evangelium nicht mehr unser Inneres in Schwingung versetzt, werden wir die Freude verlieren, die aus dem Mitgefühl entsteht, die Zartheit, die aus dem Vertrauen kommt, die Fähigkeit zur Versöhnung, die ihre Quelle in dem Wissen hat, dass uns vergeben wurde und dass auch wir vergeben sollen.“ (Papst Franziskus, Enzyklika Fratelli tutti, Nr. 277).
Hermann Steinkamp