Ein Fenster in den Himmel

silhouette of trees on mountain under blue sky during night time
Bild: unsplash.com, Adrian Infernus

In jener Zeit tritt Michael auf, der große Fürst, der für die Söhne deines Volkes eintritt. Dann kommt eine Zeit der Not, wie noch keine da war, seit es Völker gibt, bis zu jener Zeit. Doch zu jener Zeit wird dein Volk gerettet, jeder, der im Buch verzeichnet ist. Von denen, die im Land des Staubes schlafen, werden viele erwachen, die einen zum ewigen Leben, die anderen zur Schmach, zu ewigem Abscheu. Die Verständigen werden glänzen wie der Glanz der Himmelsfeste und die Männer, die viele zum rechten Tun geführt haben, wie die Sterne für immer und ewig.

Daniel 12,1-3

 

Welch ein leuchtendes Wort aus „einer Zeit der Not, wie noch keine da war“. Das Buch Daniel ist eine Sammlung von historischen Bezügen, Legenden und Berichten aus einer der düstersten Epochen des jüdischen Volkes. Es ist benannt nach einem jungen Judäer, der mit anderen Israeliten auf Befehl des babylonischen Königs Nebukadnezzar nach der Eroberung Jerusalems im 6. Jahrhundert vor Christus an dessen Hof gebracht wird. Daniel kämpft fortan in der Fremde um seine religiöse und kulturelle Identität. Der Beginn des Buches erinnert so an die Ereignisse, die zum Exil des israelischen Volkes führten. Das in dieser Form seit dem 2. Jahrhundert vor Christus vorliegende Buch spricht erstmals in den biblischen Schriften von einer Auferstehung der Toten zum ewigen Leben:

Von denen, die im Land des Staubes schlafen, werden viele erwachen, die einen zum ewigen Leben, die anderen zur Schmach, zu ewigem Abscheu. Die Verständigen werden glänzen wie der Glanz der Himmelsfeste und die Männer, die viele zum rechten Tun geführt haben, wie die Sterne für immer und ewig.

Wenn ich mit meinem Hund in diesen dunklen Novembertagen am frühen Morgen unterwegs bin – oft unter sternenklarem Firmament, dann weiß ich, dass ich nicht in den Himmel schaue, sondern in das Universum der Astronomen und Astronauten. Und dennoch lässt mich der Blick auf die Sterne und ihren Glanz staunen über Gottes Schöpfung. Morgen für Morgen gibt mir das Hoffnung auch in unserer Zeit der Not: Kriege und militärische Konflikte überall auf der Welt, Klimawandel, Autokraten und Militaristen, im Mittelmeer ertrinkende und an Europas Grenzen verprügelte Migranten mit ihren Familien, alter Hass und neue Hetze von Rassisten und Antisemiten in den „sozialen Medien“ und den Straßen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch in den Kirchen. Ungerechtigkeit und Gewalt, wohin ich schaue, doch Gottes Gerechtigkeit, sagt das Buch Daniel, reicht über den irdischen Horizont hinaus:

Die Verständigen werden glänzen wie der Glanz der Himmelsfeste und die Männer, die viele zum rechten Tun geführt haben, wie die Sterne für immer und ewig.

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„Ein Fenster in den Himmel“ – so überschreibt die Osnabrücker Bibelwissenschaftlerin Regina Wildgruber ihre Ausführungen zum Buch Daniel (in: 73 Ouvertüren. Die Buchanfänge der Bibel und ihre Botschaft. Gütersloh 2018) „Wenn die Welt aus den Fugen gerät“, heißt es darin, „verlassen Menschen ihre Heimat: flüchtend vor Krieg und Elend, vertrieben von neuen Machthabern, voll Hoffnung auf eine bessere Zukunft anderswo oder auch einfach verschleppt von den Siegern. Es ist diese Perspektive der Migrantinnen und Migranten, mit der das biblische Buch Daniel auf die Welt blickt.“ Angesichts aussichtslos scheinender Konflikte zu Beginn des 21. Jahrhunderts, globaler Bedrohungsszenarien und nie dagewesener Flucht- und Migrationsbewegungen erhalte das Buch Daniel ungeahnte Aktualität und Brisanz. „Es erzählt von Strategien“, so Wildgruber, „in der Bedrängnis Gott und sich selbst die Treue zu halten. Es erzählt von Rettung, von Einsicht in eine tiefere Wahrheit hinter dem zerstörerischen Weltenlauf und vom Vertrauen, letztendlich getragen zu sein.“ Wildgruber weiter: „Angesichts einer Welt aus den Fugen bezeugt das Danielbuch die Hoffnung, dass wir nicht aus Gottes Hand fallen werden.“ Auch das ein leuchtendes Wort in einer Zeit der Not.

Diakon Gerrit Schulte