Eine himmlische Stadt
Ein Engel entrückte mich im Geist auf einen großen, hohen Berg und zeigte mir die heilige Stadt Jerusalem, wie sie von Gott her aus dem Himmel herabkam, erfüllt von der Herrlichkeit Gottes. Sie glänzte wie ein kostbarer Edelstein, wie ein kristallklarer Jaspis. Die Stadt hat eine große und hohe Mauer mit zwölf Toren und zwölf Engeln darauf. Auf die Tore sind Namen geschrieben: die Namen der zwölf Stämme der Söhne Israels. Im Osten hat die Stadt drei Tore und im Norden drei Tore und im Süden drei Tore und im Westen drei Tore. Die Mauer der Stadt hat zwölf Grundsteine; auf ihnen stehen die zwölf Namen der zwölf Apostel des Lammes.
Einen Tempel sah ich nicht in der Stadt. Denn der Herr, ihr Gott, der Herrscher über die ganze Schöpfung, ist ihr Tempel, er und das Lamm. Die Stadt braucht weder Sonne noch Mond, die ihr leuchten. Denn die Herrlichkeit Gottes erleuchtet sie und ihre Leuchte ist das Lamm.
Offenbarung 21,10-14.22-23
In der Lesung des 6. Sonntags nach Ostern zeigt uns der Seher von Patmos in einer Vision die Vollendung der Welt, die Stadt Jerusalem, die aus dem Himmel herabsteigt.
In der Bibel steht am Anfang der Welt im Buch Genesis ein Garten, am Ende der Welt in Buch der Offenbarung eine Stadt. Und was für eine Stadt! Die Stadt steht für ersehntes, in diesem Fall für vollendetes menschliche Leben. Zum Garten kommt die Assoziation: geordnete Natur; zur Stadt kommt die Assoziation: Kultur, Zivilisation, menschliches Miteinander. Vielleicht ist das ein Grund, dass viele Menschen gerne in der Stadt leben wollen, wobei das Land ja auch seine Reize hat und behält.
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Diese Stadt, die aus dem Himmel herniedersteigt, ist nun aber nicht eine Stadt, die von Menschen gebaut ist, sondern eine Stadt, die von Gott entworfen und gebaut ist. Und deswegen ist sie so anders. Sie ist eine sichere Stadt, deren Stadttore immer offenstehen, d.h. man kann darin sicher und ohne Angst vor irgendeinem Verbrechen leben. Sie ist Tag und Nacht hell erleuchtet, d.h. es gibt dort keine dunklen Ecken und keine dunklen Geschäfte. Dort werden die Menschen nicht ausgebeutet, nicht übers Ohr gehauen, nicht an den Rand gedrängt. Dort gibt es keine Prostitution und keine Korruption. Dort herrscht Respekt vor jedem Menschen und seiner ihm von Gott gegebenen Würde und Einmaligkeit.
Es ist eine Stadt ohne Macht, in der es keine Unterschiede zwischen den Menschen gibt, auch keine kirchlichen Unterschiede mehr. Denn dort gibt es keinen Tempel mehr, es braucht keine Priester mehr, Opfer sind nicht mehr nötig, weil diese Stadt vom hellen Licht des Sohnes Gottes erleuchtet ist, der Tempel und Priesterschaft ersetzt. Gottes Sohn, Jesus Christus, ist die leuchtende Gestalt in der Stadt, die alles in einem neuen Licht sehen lässt. In ihm, dem Lamm Gottes, ist Gott selber gegenwärtig. Ein paar Verse vor dieser Lesung steht eine Vision des Schreibers der Geheimen Offenbarung: „Da hörte ich eine laute Stimme vom Thorn her rufen: Seht, die Wohnung Gottes unter den Menschen. Er wird in ihrer Mitte wohnen und sie werden sein Volk sein; und er, Gott, wird bei ihnen sein“ (Offb 5,3).
Das ist der Wert der Vision vom Ende: Sie macht deutlich, wie es sein könnte und wie es einmal sein wird. Vom Ende her fällt ein Licht in die Jetzt-Zeit. Dieses Licht setzt einen Kontrapunkt zu unseren Stadt- und Menschenwirklichkeiten. Zu wissen, wie es sein könnte und sein wird, stärkt die Kraft, jetzt schon das Mögliche zu tun, um in Richtung Gerechtigkeit, Freiheit, Offenheit, Menschenwürde, Hoffnung unterwegs zu bleiben.
Pater Franz Richardt