„Entwickeln, nicht abwickeln“

Die Zukunft von Kirche vor Ort im Bistum Osnabrück wird in den kommenden Jahren in den Dekanatsprozessen entwickelt. Möglichst viele Menschen sollen dabei ihre Vorstellungen einbringen können – denn es wird um mehr gehen als den bloßen Einsatz von Finanzmitteln und Personal. Das ist im Dekanat Grafschaft Bentheim zu sehen, wo der Prozess jetzt ins Rollen kommt.
Das Kloster Frenswegen hat schon vieles erlebt: von der Gründung als Chorherrenstift der Augustiner im 14. Jahrhundert bis zum Ökumenischen Zentrum heute. Der Wandel durchweht die roten Backsteinmauern. Schon deshalb ist es ein guter Ort, um über die aktuellen Veränderungen zu sprechen, die das Bistum Osnabrück betreffen – und mit ihm das Dekanat Grafschaft Bentheim.
In einem der Räume des Klosters sitzt Reinhold Vehr. Er ist stellvertretender Vorsitzender des Kirchenvorstands in Schüttorf. Dass es Veränderungen in der Kirche braucht, sei ihm schon lange bewusst, sagt er: „Wenn man sich anschaut, wie sich Kirche in den vergangenen 30, 40 Jahren entwickelt hat, muss einem klar sein: So kann es nicht mehr weitergehen.“
Wie der Wandel gestaltet werden kann
Ähnlich sieht es Bernd Overhoff, der als Referent im Kirchenschiff Nordhorn und hier im Kloster Frenswegen arbeitet. „Wenn man in den vergangenen Jahren nicht mit Scheuklappen durch das Bistum gelaufen ist, sieht man: Es stehen viele Veränderungen an, beim Personal, am Gebäudebestand, in der Pastoral“, sagt er.
Beide sind, mit den anderen Gesprächspartnerinnen an diesem Nachmittag, am Dekanatsprozess in der Grafschaft beteiligt. Dieser wird in den kommenden Monaten aufzeigen, wie der Wandel gestaltet werden kann. Dabei ist die Grafschaft keine Ausnahme: Jedes der zehn Dekanates des Bistums wird solch einen Prozess durchlaufen. Der formelle Ablauf ist jeweils gleich. Trotzdem werden die Prozesse sich unterschiedlich entwickeln, einfach, weil jedes Dekanat anders aufgestellt ist. Der Anstoß kommt von der Bistumsleitung, die die Prozesse beauftragt. Diese sendet Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den Abteilungen Seelsorge, Kirchengemeinden und dem Bischöflichen Personalreferat in die Dekanate, die mit den Menschen vor Ort beraten und entscheiden, was verändert werden soll. Schrumpfende Kirche als Herausforderung Reinhold Vehr hörte zusammen mit anderen Vertreterinnen aus den Pfarrgemeinden erstmals bei einem Treffen im Frühjahr 2025 davon, da liefen die Planungen im Dekanatsvorstand schon etwa drei Monate. Thema waren unter anderem die Rahmendaten mit welchen personellen und finanziellen Ressourcen bis in fünf Jahren noch gerechnet werden kann – eine der vom Bistum vorgegebenen Grundlagen des Prozesses. So halbiert sich im Dekanat Grafschaft Bentheim beispielsweise der Bestand des pastoralen Personals, von knapp 27 auf 12 Vollzeitstellen.






Um diesen Herausforderungen gerecht zu werden, sollen in den Dekanatsprozessen die nötigen Strategien erarbeitet werden. Allerdings ist das nur ein Teil des Ganzen: Prozesse gestalten, um mit weniger Ressourcen auszukommen, könne jedes Unternehmen, sagt Reinhold Vehr. „Es geht entscheidend darum: Wie wird ermöglicht, dass Glaube in 10 oder 15 Jahren im Dekanat noch gelebt werden kann?“ Oder wie es Maria Bruns, die Leiterin des Fachbereichs Organisationsentwicklung in der Abteilung Seelsorge des Bistums sagt: „Wir wollen nicht abwickeln, sondern entwickeln.“
“Wie stellst du dir Kirche in 20 Jahren vor?”

Um herauszufinden, was die Menschen im Dekanat von Kirche erwarten, starteten die Verantwortlichen in der Grafschaft im Frühjahr als einen der ersten Schritte im Prozess eine Umfrage. Fragen waren: „Wie stellst du dir die Kirche in 20 Jahren vor?“ „Was ist dir an Kirche wichtig?“ „Wo hattest du zuletzt Kontakt mit Kirche?“ Insgesamt kamen 250 ausgefüllte Fragebögen zurück. „Dafür, dass die Aktion nur zwei Wochen lief, war das sehr viel“, findet Pia Focke, Dekanatsreferentin und mit Annika Kollmer aus dem Bischöflichen Generalvikariat als Begleiterin für den Prozess zuständig. Aus den Ergebnissen haben sich Themen kristallisiert, die für die Menschen wichtig seien, so Pia Focke: „Jugendarbeit nannten die Befragten oft, aber auch die Seelsorge an besonderen Lebenspunkten oder allgemein der Wunsch, dass Kirche im Alltagsleben eine Rolle spielt. Auch sei den Menschen eine Teilnahme an einem Gottesdienst wichtig, der in einem erreichbaren Umfeld stattfinden soll. Der kann, muss aber nicht von einem Priester geleitet werden.“
Diese Ergebnisse bilden die Grundlage, um weiter in der „Sondierungsphase“ des Dekanatsprozesses fortzuschreiten. Im Dekanat sind sie mittendrin, nach etwa einem halben Jahr soll sie im Sommer abschlossen sein. Im Laufe der Sondierung werden Themen, Fragestellungen und Ziele für die Gestaltung der pastoralen Zukunft in der Region vereinbart. Das Ergebnis wird in einem Kontrakt (Vertrag) zwischen Dekanat und Bistumsleitung festgehalten.
Weitere Infos
Grundlagen des Dekanatsprozesses
- partizipativ: Beteiligung von Ehren- und Hauptamtlichen, Gemeindemitgliedern, Netzwerken und Menschen, die sich beteiligen möchten. Förderung einer Arbeit „auf Augenhöhe“. Gemeinsame Beratung mit der Bistumsleitung, was für diese Region sinnvoll ist
- regional: Bezieht sich auf das Dekanat/Region, keine Pauschallösungen
- vielfältig: Prozess mit seinen Ergebnissen, Lösungen und Modellen ist an Menschen und deren Themen orientiert.
- spirituell: Prozessschritte und Entscheidungen sind im Glauben verwurzelt. Es entstehen gemeinsame Glaubens- und Kirchenerfahrungen während des Prozesses.
- lernend: Ablauf bildet Rahmen, Einzelschritte ergeben sich durch Bedürfnisse und Erkenntnisse aller Beteiligten im Prozess.
- prozesshaft: Prozess läuft in einem definierten Zeitraum von 1,5 bis 2 Jahren.
Die nächsten Dekanate
Derzeit läuft der Dekanatsprozess im Dekanat Twistringen und in der Grafschaft Bentheim.
2025 soll der Prozess noch in den Dekanaten Bremen, Osnabrück-Nord und Ostfriesland beginnen. 2026 steigen dann die Dekanate Emsland-Süd, Emsland-Mitte, Emsland-Nord, Osnabrück-Stadt und Osnabrück-Süd in den Prozess ein.
„Das halbe Jahr ist zwar eine relativ lange Zeit, das ist aber bewusst so angelegt, damit Ehren- und Hauptamtliche Gelegenheit haben, sich mit dem Rahmenpaket auseinanderzusetzen und auch miteinander besprechen können, was ihnen wichtig ist und womit sie sich beschäftigen wollen. Und es ist Zeit da, um in Dialog zu gehen, auch mit der Bistumsleitung“, so Maria Bruns.
Große Bereitschaft zur Zusammenarbeit
Gruppen aus den Pfarrgemeinden, die sich mit den unterschiedlichen Themen beschäftigen, machen sich in der Arbeitsphase, die auf die Sondierung folgt, ans Werk. In diesem Arbeitsprozess geht es darum, wie im Dekanat künftig kooperiert wird, wie es mit den Gebäuden weitergeht und mit dem Stellenplan. Pia Focke hat in einigen Bereichen bereits eine große Bereitschaft festgestellt, zukünftig zusammenzuarbeiten oder Aufgaben abzugeben. „Gerade was die Administration betrifft, ist eine große Offenheit da zu sagen: Das muss wirklich nicht mehr jede Gemeinde vor Ort allein klären, da können wir uns zusammentun.“
Erste Entscheidungen sollen schon während des Prozesses umgesetzt werden, weitere dann, wenn Ende 2026 der Prozess im Dekanat Grafschaft Bentheim seinen Abschluss findet. „Wenn wir auf das Ganze schauen, muss ich sagen: Uns ist es wirklich wichtig, dass es ein Entwicklungsprozess ist und dass wir da gestärkt auch rausgehen“, so Annika Kollmer.
Wobei allen bewusst ist, dass dies in der Praxis nicht immer so einfach wird. „Es wird schon eine Herausforderung werden, zum Beispiel am Prozess zu arbeiten und gleichzeitig Entscheidungen zu treffen, die nicht warten können“, so Bernd Overhoff. Und natürlich gehöre Trauerarbeit dazu, denn es liege auf der Hand, dass nicht überall alles wie bisher weitergemacht werden könne.
Auch ein spiritueller Prozess
Für Pfarrer Hubertus Goldbeck aus der Obergrafschaft muss der Prozess über die rein strukturellen Fragen zu Personal, Gebäuden und Geld hinausgehen, „sonst wird es schwierig“. Es sei eben auch ein spiritueller Prozess, getragen vom Glauben. Gleichzeitig verweist er auf die veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen: So werden kirchliche Hochzeiten nicht mehr so oft nachgefragt. „Dafür wollen vielleicht mehr Paare eine Segensfeier.“ Das seien Punkte, auf die im Dekanatsprozess eingegangen werden kann.
Der Prozess dauert insgesamt zwei Jahre. Eine Zeit, die sie aber auch brauchen, so Pia Focke: „Wir möchten so viele Leute wie möglich mit ins Boot holen und am Ende gute Beschlüsse für die Kirche der Zukunft im Dekanat treffen.“