„Es sind ja Jesu Worte“
Gerhard Gäde hat sich ausführlich mit dem Vaterunser beschäftigt, dem Gebet, das Jesu seine Jünger gelehrt hat. Im Interview erzählt der Osnabrücker Priester und Theologieprofessor an der Universität München, wie das Vaterunser helfen kann, zu einer tieferen Gottesbeziehung zu kommen, warum es wichtig für den alltäglichen Glauben ist und wann er persönlich das Vaterunser betet.
Das Vaterunser ist das Gebet, das Jesus seine Jünger gelehrt hat. Weiß man, wieviel des Originaltextes dort heute noch zu finden ist?
Das ursprüngliche Gebet war gesprochen und kam aus dem Munde Jesu, und zwar auf aramäisch, der Sprache Jesu. Nur die Jünger haben die ursprünglichen Worte gehört und vermutlich dann auch gebetet und später ins Griechische (die damalige Weltsprache) übersetzt und schriftlich überliefert.
Im Neuen Testament ist uns das Vaterunser in zwei Versionen überliefert, nämlich bei Matthäus (6,9-15) und bei Lukas (4,1-4). Die beiden Fassungen sind unterschiedlich lang; die lukanische Fassung ist kürzer und auch knapper als die von Matthäus. Nach Auskunft der Forschung scheint die kürzere Fassung näher am Ursprung zu sein. In der Gebetspraxis und in der Liturgie hat sich jedoch die längere Fassung durchgesetzt. Das Vaterunser, wie wir es im Gottesdienst beten, beruht somit auf der Überlieferung des Matthäusevangeliums. Es besteht aus drei Du-Bitten und vier Wir-Bitten. Der häufig mitgebetete Abschluss „Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit …“ gehört nicht zum ursprünglichen Text.
Weitere Infos
Über seine Erfahrungen mit dem Vaterunser hat Gerhard Gäde ein Buch geschrieben: „Vater unser – Mit Jesus beten“ Norderstedt 2022, Preis: 8,49 Euro, bestellbar in jeder Buchhandlung, bei Amazon oder direkt bei Books on Demand.
Das Vaterunser vereinigt „geistliche“ Bitten wie „geheiligt werde dein Name“ mit Bitten um das ganz Alltägliche, wie „das tägliche Brot gib uns heute“. Was sagt das über den Vater aus, der hier angesprochen wird?
Wer das Vaterunser betet, weiß, dass er oder sie Hunger nach Brot hat (das steht für die leiblichen irdischen Bedürfnisse) und Hunger nach Gott, das heißt nach einer Vollendung, die uns nichts Geschöpfliches geben, sondern die nur von Gott sein kann. Dass wir Gott als „Vater“ ansprechen, ist nicht selbstverständlich. Nur Jesus konnte ihn so ansprechen. Wenn er die Jünger lehrt, Gott ebenfalls als Vater anzureden, dann nimmt er sie hinein in sein Sohnesverhältnis zu Gott. Wir Christen wissen uns also aufgenommen in das Gegenüber von Vater und Sohn. Und so dürfen wir uns als Christen mit allem, was uns ausmacht – leiblicher Hunger, Schuld, Versuchung, Angst und Bedrohung durch das Böse – in Gemeinschaft mit Gott wissen. In meinem Buch habe ich der Bitte um das tägliche Brot ein sehr ausführliches Kapitel gewidmet, das die verschiedenen Ausformungen des Hungers deutlich macht.
Wie kann das Vaterunser helfen, zu einer tieferen Gottesbeziehung zu kommen?
Wer es bewusst betet und zu verstehen sucht, dem wird immer klarer, wie unüberbietbar die Beziehung Gottes zu uns ist. Denn wer das Vaterunser betet, weiß sich von Gott so angeschaut, wie Gott als Vater seinen gleichewigen Sohn anschaut. Diese Beziehung ist nicht steigerbar! Denn unsere geistliche Beziehung zu Gott ist zuerst Gottes Beziehung zu uns. Sie ist also der Heilige Geist, der mit Gott identisch und die Liebe zwischen Vater und Sohn ist. Das ist so unbegreiflich wie Gott selbst.
Warum ist das Vaterunser wichtig für das alltägliche Glaubensleben eines Christen?
Weil wir beim Beten unseren Glauben vollziehen. Denn das Gebet ist Antwort auf Gottes Wort. Nur wer sich schon von Gott angesprochen weiß, wird auch auf das Wort Gottes antworten wollen. Denn so wie das leibliche Leben Nahrung braucht, so braucht auch der Glaube Nahrung. Gottes Wort und die Sakramente sind die Nahrung für unseren Glauben, also Christus selbst. Gott hört, wenn wir das Vaterunser beten, aus unserem Beten die Stimme seines Sohnes. Nur so ist verbürgt, dass unser Gebet Gott erreicht. Unser Beten zeigt, dass Gottes Wort bei uns angekommen ist und erwidert wird. Wir werden so mit Gott mehr und mehr vertraut.
Zu welchen Gelegenheiten beten Sie das Vaterunser im Alltag?
In der Heiligen Messe mit der versammelten Gemeinde, beim priesterlichen Stundengebet und nach jedem persönlichen Gebet, und auch in Momenten der inneren oder äußeren Not, wenn mir eigene Worte fehlen. Es sind ja Jesu Worte.