„Begreift ihr denn nicht?“ (Lk 24,25)
Fastenmeditation 2
Zweifelnden raten und Unwissende lehren
2. Fastensonntag, 21. Februar 2016
Lesung
Am gleichen Tag waren zwei von den Jüngern auf dem Weg in ein
Dorf namens Emmaus, das sechzig Stadien von Jerusalem entfernt ist.
Sie sprachen miteinander über all das, was sich ereignet hatte.
Während sie redeten und ihre Gedanken austauschten, kam Jesus
hinzu und ging mit ihnen. Doch sie waren wie mit Blindheit geschlagen,
so dass sie ihn nicht erkannten. Er fragte sie: Was sind das für
Dinge, über die ihr auf eurem Weg miteinander redet? Da blieben sie
traurig stehen, und der eine von ihnen – er hieß Kleopas – antwortete
ihm: Bist du so fremd in Jerusalem, dass du als Einziger nicht weißt, was
in diesen Tagen dort geschehen ist? Er fragte sie: Was denn? Sie antworteten
ihm: Das mit Jesus aus Nazaret. Er war ein Prophet, mächtig
in Wort und Tat vor Gott und dem ganzen Volk. Doch unsere Hohenpriester
und Führer haben ihn zum Tod verurteilen und ans Kreuz
schlagen lassen. Wir aber hatten gehofft, dass er der sei, der Israel erlösen
werde. Und dazu ist heute schon der dritte Tag, seitdem das alles
geschehen ist. Aber nicht nur das: Auch einige Frauen aus unserem
Kreis haben uns in große Aufregung versetzt. Sie waren in der Frühe
beim Grab, fanden aber seinen Leichnam nicht. Als sie zurückkamen,
erzählten sie, es seien ihnen Engel erschienen und hätten gesagt, er
lebe. Einige von uns gingen dann zum Grab und fanden alles so, wie
die Frauen gesagt hatten; ihn selbst aber sahen sie nicht. Lk 24,13-24
Da sagte er zu ihnen: Begreift ihr denn nicht? Wie schwer fällt es euch,
alles zu glauben, was die Propheten gesagt haben. Musste nicht der
Messias all das erleiden, um so in seine Herrlichkeit zu gelangen? Und
er legte ihnen dar, ausgehend von Mose und allen Propheten, was in
der gesamten Schrift über ihn geschrieben steht.
So erreichten sie das Dorf, zu dem sie unterwegs waren. Jesus tat,
als wolle er weitergehen, aber sie drängten ihn und sagten:
Bleib doch bei uns; denn es wird bald Abend, der Tag hat sich schon geneigt.
Da ging er mit hinein, um bei ihnen zu bleiben. Und als er mit ihnen bei
Tisch war, nahm er das Brot, sprach den Lobpreis, brach das Brot und
gab es ihnen. Da gingen ihnen die Augen auf und sie erkannten ihn;
dann sahen sie ihn nicht mehr. 2 Und sie sagten zueinander: Brannte
uns nicht das Herz in der Brust, als er unterwegs mit uns redete und
uns den Sinn der Schrift erschloss? Lk 24, 25-32
„Wir aber hatten gehofft, dass er es sei, der uns erlösen werde …“
„Die Frauen haben uns in große Aufregung versetzt …“
„Er soll leben, aber ihn selbst sahen sie nicht …“
„Sind wir denn blind?“
Zweifel damals, ob er wirklich lebt, wo alles nach Tod aussieht.
Zweifel damals, schon weit vor den Emmausjüngern:
• etwa Johannes der Täufer: „Bist du es, der kommen soll, oder müssen
wir auf einen anderen warten?“ (Mt 11,3)
• oder Thomas, der Zweifler: „Wenn ich nicht die Wunde sehe und
begreife, glaube ich nicht!“ (vgl. Joh 20,25)
Zweifel heute:
„Wo ist denn dieser auferstandene,
dieser lebendige Christus angesichts von
so viel Leid, Not und Tod?“
„Ich finde ihn nicht mehr in all den enttäuschenden
und niederschmetternden Erfahrungen meines Lebens
in meiner kleinen Welt,
in der großen Welt,
in der Welt der Kirche,
ja sogar in der Welt des Glaubens.
Was gilt denn noch? Ist das wirklich alles so?“
Zweifel an der Gerechtigkeit und der Liebe Gottes;
noch mehr an der Glaubwürdigkeit der Kirche, der Verantwortlichen;
Zweifel daran, ob wir den Herausforderungen gewachsen sind.
Werden wir es schaffen, in eine gute Zukunft zu kommen?
„Von Zweifeln ist mein Leben übermannt.
Mein Unvermögen hält mich ganz gefangen.
Fremd wie dein Name sind mir deine Wege.“ (vgl. GL 422)
Herr, bist du so fremd?
„Bist du der Gott, der Zukunft mir verheißt?“ (edd.)
„Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir!“ (Ps 130,1 f.)
„Ich rufe bei Tag, doch du gibst keine Antwort;
ich rufe bei Nacht und finde doch keine Ruhe.“ (Ps 22,3)
Fragen über Fragen.
Fragen mehr als Antworten.
Fragezeichen mehr als Ausrufezeichen.
Rufe ohne Antwort!
Jesus stellt Gegenfragen:
„Was sind das für Dinge, die euch den Kopf zerbrechen?
Was denn?
Begreift ihr denn nicht?“
Er bringt sie zum Reden.
Er bringt sie dazu, die Fragen noch einmal aus-zu-sprechen –
anders, vor einem anderen, einem Unbekannten, einem Nichterkannten.
Er geht mit ihnen,
schrittweise begleitet er ihre Blindheit.
Er hört zu. Er redet zunächst nicht.
Hält ihre Zweifel aus.
Flüchtet nicht vor ihren Fragen.
Lässt die Zweifel zu.
Behutsam, schrittweise zeigt er Zusammenhänge.
„Er entziffert ihre Nacht“, wie Papst Franziskus sagt,
lässt sie neue Blicke, neue Ein-Sichten gewinnen,
den roten Faden in den Geschehnissen entdecken.
Er führt sie zu anderem Wissen,
lässt sie ihr Leben, ihre Erfahrungen, ihre Schriften neu lesen.
Erst im Mitgehen, im Interesse, im Dazwischen-Sein gewinnt er Vertrauen
und kann sie weiter mitnehmen
in das Geheimnis Gottes,
in das Geheimnis der Erlösung.
Ein Geheimnis, das für uns nie ganz zu durchdringen ist,
das aber nie Orakel oder Rätsel ist,
sondern das göttliche Muss,
die Notwendigkeit einer Liebe,
die nicht von oben herab erlöst und befreit
durch abgeschaffte Not, abgeschafftes Leid, abgeschafften Tod,
durch Abschaffung von Zweifel und Suche.
Es ist die Liebe, die dadurch rät und lehrt, dass sie mitgeht und nicht belehrt,
dass sie mitgeht in die Abgründe von Versuchung, Not, Leid und Tod.
Es ist die Liebe, die begleitet in das Geheimnis, in dem wir unser Heim,
unser Zuhause finden können.
Diese Liebe lässt uns oft nicht verstehen, was uns bedrückt,
aber sie lässt uns besser bestehen, weil sie uns nicht alleinlässt von dem Schrei:
„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mk 15,34; Ps 22,2)
bis zu der Haltung: „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist“ (Lk 23,46;
Ps 31,6),
von Widerstand und Aufschrei
bis zu Ergebung und Hingabe.
Dieser Weg erspart uns nicht Dunkel und Zweifel,
löst aber Blindheit und Perspektivlosigkeit im Miteinander, im Miteinander-
Gehen.
Er erspart uns auch nicht das Denken,
den Einsatz des Verstandes,
der Vernunft und Sachlichkeit:
„Er legte ihnen dar, was in der ganzen Schrift geschrieben steht.“
Vertrauen, Glauben, Zutrauen
brauchen auch Wissen und Kenntnis von Zusammenhängen,
brauchen Herz und Verstand,
Zuspruch und Argumentation,
Dialog und Diskussion,
Geist des Rates und der Wissenschaft.
Jesus zeigt uns:
Zweifelnden raten ist nicht Vorwurf und Besserwisserei, sondern Begleiten;
Unwissende lehren ist nicht Belehrung, sondern Erschließung, Öffnen der
Augen für neue Blicke, neue Ein-Sichten.
Und das alles in großer Geduld.
Doch der Weg – der Dialog in Hören und Zu-Reden, Anstrengung des Geistes
– führt weiter,
führt zum Gebet, zur Einladung der Zweifelnden an ihren Begleiter:
„Herr, bleibe bei uns,
denn es wird Abend,
es wird dunkel,
der Tag neigt sich.“
Zweifel,
Unwissenheit,
Blindheit,
Perspektivlosigkeit,
Enttäuschung
lösen sich nicht allein durch Gespräch, durch Reden allein.
Erlösung bedarf auch
der Öffnung,
der Einladung,
der Bitte
des Gebets:
„Wende dein Ohr mir zu,
achte auf mein lautes Flehen!“ (Ps 130,2)
„Ich hoffe auf den Herrn …,
ich warte voll Vertrauen auf sein Wort.“ (Ps 130,5)
„Bleib doch bei uns!“
Erst durch diese Bitte
werden sie offen für das Zeichen des Brotbrechens,
werden wir offen für seine Zeichen, seine Segensworte,
die uns die Augen öffnen,
die uns erinnern an seine Zuwendung,
die uns sein Geheimnis er-innern, ins Innerste einsenken.
Erst diese Einladung,
diese Erfahrung über alle Erkenntnis hinaus
lässt die Herzen weiterbrennen
und führt zu neuem Mut, zu neuem Aufbruch.
Jesus,
befähige uns zu deiner Art
zu hören,
zu fragen,
zu sprechen,
zu begleiten,
zu lehren und zu raten.
Lass uns in Zweifel und Dunkelheit nicht verzweifeln und resignieren.
Gib, dass wir nicht davor weglaufen,
die Wege mit Zweifelnden und Suchenden,
mit Unwissenden und Entfremdeten zu gehen
in Behutsamkeit,
Geduld,
Besonnenheit
und Liebe,
dass wir sie nicht im Zweifel lassen über deine Liebe.
So leben wir deine Barmherzigkeit, die Herzen wieder zum Brennen bringt.
Herr, bleibe bei uns in der Nacht des Zweifels und des Nicht-Verstehens
und lass uns bleiben bei allen, die auf der Suche sind,
dass sie und wir mit ihnen dich finden.
„Sprich du das Wort, das tröstet und befreit
und das mich führt in deinen großen Frieden …
Sei du mein täglich Brot, so wahr du lebst.
Du bist mein Atem, wenn ich zu dir bete.“ (Gl 422)