„Heute muss ich in deinem Haus zu Gast sein“ (Lk 19,55)

Fastenmeditation 4

Betrübte trösten und für Lebende und Verstorbene beten

4. Fastensonntag, 6. März 2016

Lesung
Bei dem Kreuz Jesu standen seine Mutter und die Schwester seiner
Mutter, Maria, die Frau des Klopas, und Maria von Magdala. Als Jesus
seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er liebte, sagte er zu
seiner Mutter: Frau, siehe, dein Sohn! Dann sagte er zu dem Jünger:
Siehe, deine Mutter! Und von jener Stunde an nahm sie der Jünger zu
sich. Joh 19,25-27

Stabat mater dolorosa.
Maria steht,
sie steht ihre Frau
mit drei anderen Frauen und Johannes, dem großen Liebenden.

Stabat.
Sie bleibt stehen, wo andere flüchten.
Sie schaut hin, wo andere wegschauen oder gaffen.
Sie ist betrübt, ihre Seele trifft das vorhergesagte Schwert, wo andere höhnen:
„Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott!“

Stabat – sie bleibt stehen
mitten in der Rohheit und Grausamkeit der Umgebung.

Sie hat zu ihrem Sohn gestanden in den verrückten Zeiten der letzten drei
Jahre.
In Kana musste sie hören:
„Frau, was willst du von mir? Meine Stunde ist noch nicht gekommen.“
(Joh 2,4)

Sie musste lernen:
„Wer ist meine Mutter und wer sind meine Brüder?“ (Mk 3,33)
Oder früher:
„Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meinem Vater
gehört?“ (Lk 2,49)

Und er?
Er selbst betet am Ölberg: „Meine Seele ist betrübt bis in den Tod“
(vgl. Mk 14,34).
Sohn und Mutter teilen (sich) den Schmerz, die Betrübnis.

Ave Maria unter dem Kreuz!

Betrübt bist du, Maria,
voll der Schmerzen.
Der Herr ist nicht mehr mit dir.
Du bist die verlassenste unter den Frauen
und gottverlassen ist die Frucht deines Leibes,
Jesus.

Heilige Maria, Mutter Gottes,
bitte für uns Zweifler
in der Stunde unserer Gottesferne.
Amen.
(A. Knapp, Höher als der Himmel. Göttliche Gedichte, Würzburg 2010, S. 15)

Betrübte Mütter und Väter,
Kinder und Liebende,
immer wieder – bis heute –
im Verlust ihrer Liebsten,
im Schmerz der Entfremdung,
im Nichtverstehen der Wege,
in der Unfassbarkeit des Leids,
im Meer der Schmerzen
Menschen unter dem Kreuz,
Menschen mit dem Verlorenen im Herzen oder auf dem Schoß.

Woher kann Trost kommen?
Zunächst aus der Gemeinschaft, dem gemeinsam getragenen Schmerz:
die vier Frauen beim Kreuz,
der liebende Jünger
– Solidarität in der Betrübnis.

Gemeinsam hinschauen, nicht wegschauen,
gemeinsam sich dem Grauen stellen,
gemeinsam nicht flüchten,
sondern bleiben, hoffen wider alle Hoffnung. (vgl. Röm 4,18)

Noch einmal: Woher kommt Trost?
Aus der Zu-neigung des Größeren,
in seiner Zu-sage:
Frau, siehe deinen Sohn,
siehe deine neue Zukunft,
dein neues Leben.
Sohn, siehe deine Mutter.
Setzt aufeinander,
achtet aufeinander,
schenkt euch gegenseitig An-sehen.
Bildet neue Gemeinschaft der Trauer, des Trostes,
der Hoffnung, des Vertrauens, der Liebe.

„Dann neigte er sein Haupt und gab seinen Geist auf.“ (Joh 19,30)
Da neigte sich Gott endgültig,
bis in das äußerste Leid,
den Menschen, uns allen zu

und übergab seinen Geist,
übergab uns den Tröster,
den Beistand für alle,
die stehen bleiben bei ihm und beieinander in ihrer
Trostlosigkeit.

Stabat mater – Maria steht,
aber nicht ohne Beistand,
ohne den Tröster Geist.

Tod wird Geburt neuen Lebens:
Der aus Überschattung des Geistes Geborene
übergibt seinen Geist im Tod an uns alle,
wird neu geboren in der Auferstehung
und sendet seinen Geist als Tröster und Beistand.

Paulus wird schreiben:
„Gepriesen sei der Gott allen Trostes.
Er tröstet uns in all unserer Not,
damit auch wir die Kraft haben, alle zu trösten, die in Not sind,
durch den Trost, mit dem auch wir von Gott getröstet werden.
Wie uns nämlich die Leiden Christi überreich zuteilgeworden sind,
so wird uns durch Christus auch überreicher Trost zuteil.
Sind wir aber in Not, so ist es zu eurem Trost und Heil,
und werden wir getröstet, so geschieht auch das zu eurem Trost …
Wir sind sicher, dass ihr mit uns nicht nur an den Leiden teilhabt,
sondern auch am Trost.“ (2 Kor 1,3-7)

So entsteht unter dem Kreuz Solidargemeinschaft Kirche,
ja Solidargemeinschaft Menschheit.
So lassen sich Menschen trösten von der Trösterin der Betrübten mit ihrem
toten Sohn auf dem Schoß im Bild der Pieta,
in diesem Bild zum Gotterbarmen.
Sie tun es an unzähligen Orten der Wallfahrt.

So lassen sich Menschen trösten
nicht durch die Bilder jauchzender Auferstehung zuerst,
sondern durch die Aufschau zu einer Mutter, die trösten kann,
die die Geburt des Lebens zweimal durchgemacht hat
mit dem Kind und dem erwachsenen Jesus.

Die leidvollen Bilder „Maria unter dem Kreuz mit Johannes“,
„Maria mit dem toten Sohn auf dem Schoß“
trösten mehr als die jubelvolle Himmelfahrt Mariens.

Vor diesen Bildern versammeln sich mehr Menschen im Leid
als vor Bildern jubelnder Auferstehung.
Denn die Solidarität im Leiden,
das gegenseitige Mit-empfinden,
die compassio
ist der Grund tiefen Trostes inmitten der harten Realität des Lebens.
Solche Solidarität öffnet mehr den Himmel als so manche Himmelfahrten,
die das Leid verklären,
die das Leid nicht mehr spüren lassen als Geburtsschmerz des Lebens.

Erst die Pietà gibt Trost für verklärtes neues Leben.
Maria – Urbild, Trösterin der Betrübten,
consolatrix afflictorum,
Mit-einsam-Seiende mit den Angefochtenen.

Trost gelingt im Mit-gehen,
Mit-leiden,
Mit-aushalten,
Mit-schweigen,
im Bei-stehen, oft sprachlos.

Trost gelingt im Trauen auf die Treue Gottes:
stehen wie ein Baum (engl. tree),
verwurzelt in der Liebe.
Dann gelingen auch trostvolle Worte,
die nicht Trostpflaster sind, sondern heilen in der Tiefe,
die nicht Vertröstung sind, sondern die Not ernst nehmen und wandeln.
Der alttestamentliche Dulder Hiob weiß, wovon die Rede ist.
Und viele andere auch.

So wird Trösten zum Werk der Barmherzigkeit.

Und wenn alle Worte versagen,
wenn wir an die Grenzen des Trostes gelangt sind?
Selbst dann bleibt noch etwas.
Dann bleibt uns das Gebet,
die Möglichkeit, vor den größeren und unbegreiflichen Gott zu treten,
und sei es in der ständigen Wiederholung der Vaterunsersätze:
„Führe uns nicht in die Versuchung,
dir nicht mehr zu trauen,
sondern erlöse uns von diesem Bösen!“

Wie Maria uns den toten Sohn hinhält
und alle Betrübnis stumm herausschreit,
so hält sie ihn auch Gott hin
und mit ihm uns alle,
vor allem die Leidenden und Sterbenden dieser Welt.
Uns selbst und alle Menschen,
Lebende und Verstorbene,
Gott hinhalten,
sie mit ins Gebet nehmen in all den Formen des Betens:
im Bitten,
im Hadern,
im Fragen,
im Stammeln,
im Sich-von-der-Seele-Beten,
im Schweigen,
im Staunen,
im Loben,
im Danken,
auch das ist ein Werk der Barmherzigkeit.
Es tritt auch da noch für Menschen ein, wo alles andere versagt und verstummt.

Gebet mit den Betrübten, wo es gut erscheint;
Gebet für die Betrübten;
Gebet als ständige Begleitung derer, die um unser Gebet bitten;

Gebet, das lebendig wird durch das Denken an konkrete Gesichter und Situationen:
Lebende und Tote,
Opfer und Täter,
Freunde und Feinde,
Starke und Schwache.

Nicht Gebet des Besseren für die vermeintlich Schlechteren
wie bei dem Pharisäer und dem Zöllner:
„Gott, ich danke dir, dass ich nicht wie die anderen Menschen bin, die Räuber,
Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner dort“ (vgl. Lk 18,11),
sondern in innerer Solidarität mit allen,
um dadurch allen alles zu werden. (vgl. 1 Kor 9,22)
Was im Alltag sonst kaum möglich ist, im Gebet ist es möglich.

Dieses Netzwerk des Gebets,
immer und überall,
zeichenhaft im Stundengebet der Mutter Kirche,
die sich damit wie Maria ihrer Söhne und Töchter annimmt,
dieses Netzwerk ist der verborgene und unsichtbare Trost,
aus dem die Welt mehr lebt, als wir glauben.

Nach den trostvollen Worten des Paulus, die wir eben gehört haben,
schreibt er weiter:
„Wir haben unser Todesurteil hingenommen“,
unseren Lebensweg zum Tod hin angenommen,
„weil wir unser Vertrauen nicht auf uns selbst setzen, sondern auf Gott.
Auf ihm ruht unsere Hoffnung, dass er uns retten wird.
Helft aber auch ihr, indem ihr für uns betet,
damit viele Menschen in unserem Namen Dank sagen für die Gnade,
die uns geschenkt wurde.“ (2 Kor 1,9 ff.)

Werk der Barmherzigkeit also: für alle beten:
für Lebende – bis in aussichtslose Situationen,
für Tote – weil jedes Gebet bei Gott zur rechten Zeit ankommt;
auch nach dem Tod
bei IHM, bei dem Zeit und Ewigkeit eins sind,
bei IHM, bei dem der Verstorbene dann zwar allein ankommt –
und doch mit vielen Menschen, die ihm den Rücken stärken.

Deshalb ist es gut, für Verstorbene zu beten,
gut für sie und gut für uns,
weil wir in der Hoffnung bleiben
und sie nicht vergessen.

Beten wir mit Psalm 23:
„Ob ich auch wandere in finsterem Tal,
ich fürchte kein Unheil,
denn du bist bei mir.
Dein Stecken und Stab,
sie trösten mich, mein Gott,
denn du bist bei uns.“ Amen.

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