Keine Stadt ohne Gott
Das Wort des Herrn erging an Jona: Mach dich auf den Weg und geh nach Ninive, der großen Stadt, und rufe ihr all das zu, was ich dir sagen werde! Jona machte sich auf den Weg und ging nach Ninive, wie der Herr es ihm befohlen hatte. Ninive war eine große Stadt vor Gott; man brauchte drei Tage, um sie zu durchqueren. Jona begann, in die Stadt hineinzugehen; er ging einen Tag lang und rief: Noch vierzig Tage
und Ninive ist zerstört! Und die Leute von Ninive glaubten Gott. Sie riefen ein Fasten aus und alle, Groß und Klein, zogen Bußgewänder an. Und Gott sah ihr Verhalten; er sah, dass sie umkehrten und sich von ihren bösen Taten abwandten. Da reute Gott das Unheil, das er ihnen angedroht hatte, und er tat es nicht.
Eine sogenannte Tagesreise umfasst ungefähr 40 Kilometer. Das entspricht der Ausdehnung der Stadt Berlin sowohl in der Länge wie in der Breite. Die Stadt Ninive müsste mehr als eine Megacity der Antike gewesen sein, wenn sie die dreifache Ausdehnung von Berlin gehabt haben soll. Nun war das historische Ninive schon dreihundert Jahre zerstört als das Buch Jona vom gleichnamigen Propheten erzählt. Ist das alles Fiktion? Was soll die Übertreibung? Vor allem: Mit welchen Dingen muss es zugegangen sein, dass ein bedeutungsloser Fremder die Eliten und Bürger dieser Stadt zu einer sittlichen und religiösen Erneuerung motiviert zumal sie wohl kaum alle eine gemeinsame Religion hatten?
Die Geschichte von Jona ist natürlich eine, die mit Augenzwinkern vom Handeln Gottes erzählt. Das gilt vom Jona selbst, der so etwas wie der „brave Soldat Schwejk“ unter den Propheten ist, bis hin zu Gott, der alles in Bewegung setzt, inklusive eines riesigen Fisches, damit Jona seine Reise in den heutigen Irak, an die Ufer des Tigris, antritt. Denn Gottes Ziel lautet: „Rettung“! Die abenteuerliche Geschichte von Jona betont die Leidenschaft Gottes für den Menschen.
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Der Ruf der Umkehr, den Jona verkündet, spiegelt nämlich eine grundlegende Weisheit: „Wer Böses tut, wird Böses sehen!“ Genau davor will der Gott im Buch Jona alle Menschen bewahren – egal ob es sich um seine Verehrer oder um Angehörige fremder Kulte handelt. Gott geht es zunächst um den Menschen. Der Mensch gefährdet sich immer wieder selbst. Er verliert sich in falschen oder unnützen Dingen. Damit gleicht er einem Kind, das auf dem Gitter eines hohen Balkons balanciert.
Mir sagt diese Lesung, dass ich für Gott wichtig bin und dass es ihm nicht egal ist, was aus mir wird. Gleichzeitig erinnert mich der Text daran, dass gutes Leben, gutes Zusammenleben, überall möglich ist – egal ob in Ninive, Berlin oder Kleinkleckersdorf. Es gibt keine Stadt ohne Gott! Es gibt keine gottlosen Orte, weil man diesen Gott letztlich nicht los werden kann: Er bleibt am Menschen dran, weil er Interesse an mir hat und in meinem Leben dabei sein will.
Darüber hinaus ermutigt mich das Buch Jona, denn es zeigt mir einen „menschelnden“ Gott. Dieser Gott fühlt mit, ärgert sich … und bereut auch.
Solch ein Gott spricht zu mir auch im lautesten Lärm einer Großstadt. Diesen Gott darf ich ansprechen – wie einen Passanten, den ich nach dem richtigen Weg frage, egal ob in Berlin oder anderswo.
Pastor Michael Lier