Maria: himmlisch und irdisch zugleich
„Dann erschien ein großes Zeichen am Himmel: eine Frau, mit der Sonne bekleidet; der Mond war unter ihren Füßen und ein Kranz von zwölf Sternen auf ihrem Haupt. Sie war schwanger und schrie vor Schmerz in ihren Geburtswehen. (…).Und sie gebar ein Kind, einen Sohn, der alle Völker mit eisernem Zepter weiden wird. Und ihr Kind wurde zu Gott und zu seinem Thron entrückt.“
Offenbarung des Johannes 12,1-2.5
„In diesen Tagen machte sich Maria auf den Weg und eilte in eine Stadt im Bergland von Judäa. Sie ging in das Haus des Zacharias und begrüßte Elisabet. Und es geschah, als Elisabet den Gruß Marias hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leib. Da wurde Elisabet vom Heiligen Geist erfüllt und rief mit lauter Stimme: Gesegnet bist du unter den Frauen und gesegnet ist die Frucht deines Leibes. (…) Da sagte Maria: Meine Seele preist die Größe des Herrn und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter. Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut. Siehe, von nun an preisen mich selig alle Geschlechter. Denn der Mächtige hat Großes an mir getan und sein Name ist heilig. Er erbarmt sich von Geschlecht zu Geschlecht über alle, die ihn fürchten. Er vollbringt mit seinem Arm machtvolle Taten: Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind; er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen. Er nimmt sich seines Knechtes Israel an und denkt an sein Erbarmen, das er unsern Vätern verheißen hat, Abraham und seinen Nachkommen auf ewig.“
Lukas 1,39-42.46-55
Unterschiedlicher könnten die Bilder in den Texten zum Fest „Mariä Aufnahme in den Himmel“ nicht sein: Zuerst erscheint da in der Offenbarung des Johannes eine Frau, mit der Sonne gekleidet, auf ihrem Haupt zwölf Sterne; der Mond zu ihren Füßen. Sie gebiert ein Kind, darunter windet sich der besiegte Drache des Todes. In diesem Bild der Offenbarung feiert die Christenheit von jeher den schönen Gedanken: Maria ist bei Gott! In der Bibel steht zwar nirgendwo etwas von einer Himmelfahrt Mariens, aber schon seit dem 5. Jahrhundert existiert dieses Fest. Warum es 1500 Jahre später dazu noch eines Dogmas bedurfte – zudem unter Berufung auf die päpstliche Unfehlbarkeit – das weiß der Himmel.
Dann das Bild Mariens im Evangelium des Festtages. Die junge schwangere Maria besucht ihre ältere Verwandte Elisabeth; auch die ist überraschend schwanger – mit Johannes, den man den Täufer nennen wird. Die Künstlerin Käthe Kollwitz hat im Jahr 1928 diese Begegnung ins Bild gesetzt. Ihr Holzschnitt zeigt zwei einfache Frauen, dargestellt als Arbeiterinnen des 19. Jahrhunderts. Frauen, die in der aufkommenden Industrialisierung in schwierigsten sozialen Verhältnissen leben und arbeiten mussten. Oft rechtlos, arbeitslos, ausgebeutet – sexuell wie materiell. Aus dem Bild von Käthe Kollwitz schreit förmlich das „Revolutionslied“ der Maria: Gott hat auf die Niedrigkeit seiner Magd geschaut, er vollbringt machtvolle Taten, er zerstreut die Hochmütigen, er stürzt die Mächtigen vom Thron, er erhöht die Niedrigen, beschenkt die Hungernden, lässt die Reichen leer ausgehen.
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Das matte Schwarz der Darstellung weist auf eine düstere Zeit hin: die Söhne dieser beiden Frauen – Johannes und Jesus – werden einen gewaltsamen Tod sterben. Doch aus all dem Dunkel lässt Käthe Kollwitz ein himmlisches Licht wachsen, dass auf den zärtlichen Händen und den vom Leben gezeichneten Gesichtern dieser Frauen liegt: Das Licht, das über dem Stall von Bethlehem aufgehen und zum Feuer der Osternacht werden wird.
Die Gottesmutter im Kleid der Arbeiterin und Maria im Kleid der Sonne – zwei Seiten einer Medaille: Maria ist bei Gott – aber mit allem, was sie im irdischen Leben ausgemacht hat. Sie weiß, wie es den Menschen geht, was sie bedrängt und bewegt. Deshalb können wir ihr die Frauen in Not, die jungen und die alten, die Frauen und Mütter auf der Flucht, die Opfer von Naturkatastrophen, die Armen und Ausgebeuteten anvertrauen – und wie Maria Gott und dem Leben trauen – trotz allem, was auf dieser Erde dagegen zu sprechen scheint.
Gerrit Schulte, Diakon