Macht Platz für Barmherzigkeit!
Alle Zöllner und Sünder kamen zu Jesus, um ihn zu hören. Die Pharisäer und die Schriftgelehrten empörten sich darüber und sagten: Dieser nimmt Sünder auf und isst mit ihnen. Da erzählte er ihnen dieses Gleichnis und sagte: (…) Ein Mann hatte zwei Söhne. Der jüngere von ihnen sagte zu seinem Vater, gib mir das Erbteil, das mir zusteht! Da teilte der Vater das Vermögen unter sie auf. Nach wenigen Tagen packte der jüngere Sohn alles zusammen und zog in ein fernes Land. Dort führte er ein zügelloses Leben und verschleuderte sein Vermögen. Als er alles durchgebracht hatte, kam eine große Hungersnot über jenes Land und er begann Not zu leiden. Da ging er zu einem Bürger des Landes und drängte sich ihm auf; der schickte ihn aufs Feld zum Schweinehüten. Er hätte gern seinen Hunger mit den Futterschoten gestillt, die die Schweine fraßen; aber niemand gab ihm davon. Da ging er in sich und sagte: Wie viele Tagelöhner meines Vaters haben Brot im Überfluss, ich aber komme hier vor Hunger um. Ich will aufbrechen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe mich gegen den Himmel und gegen dich versündigt. Ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu sein; mach mich zu einem deiner Tagelöhner. Dann brach er auf und ging zu seinem Vater. Der Vater sah ihn schon von Weitem kommen und er hatte Mitleid mit ihm. Er lief dem Sohn entgegen, fiel ihm um den Hals und küsste ihn. Da sagte der Sohn zu ihm: Vater, ich habe mich gegen den Himmel und gegen dich versündigt. Ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu sein. Der Vater aber sagte zu seinen Knechten: Holt schnell das beste Gewand und zieht es ihm an, steckt einen Ring an seine Hand und gebt ihm Sandalen an die Füße! Bringt das Mastkalb und schlachtet es; wir wollen essen und fröhlich sein. Denn dieser, mein Sohn, war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wiedergefunden worden. Und sie begannen, ein Fest zu feiern. Sein älterer Sohn aber war auf dem Feld. Als er heimging und in die Nähe des Hauses kam, hörte er Musik und Tanz. Da rief er einen der Knechte und fragte, was das bedeuten solle. Der Knecht antwortete ihm: Dein Bruder ist gekommen und dein Vater hat das Mastkalb schlachten lassen, weil er ihn gesund wiederbekommen hat. Da wurde er zornig und wollte nicht hineingehen. Sein Vater aber kam heraus und redete ihm gut zu. Doch er erwiderte seinem Vater: Siehe, schon so viele Jahre diene ich dir und nie habe ich dein Gebot übertreten; mir aber hast du nie einen Ziegenbock geschenkt, damit ich mit meinen Freunden ein Fest feiern konnte. Kaum aber ist der hier gekommen, dein Sohn, der dein Vermögen mit Dirnen durchgebracht hat, da hast du für ihn das Mastkalb geschlachtet. Der Vater antwortete ihm: Mein Kind, du bist immer bei mir und alles, was mein ist, ist auch dein. Aber man muss doch ein Fest feiern und sich freuen; denn dieser, dein Bruder, war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wiedergefunden worden.
Lukas 15,1-3a.11-32
Das „Gleichnis vom verlorenen Sohn“ – so wird diese Erzählung Jesu aus dem Lukas Evangelium oft bezeichnet. Treffender müsste es heißen: Das Gleichnis vom barmherzigen Vater. Denn der schaut nicht auf die Fehler seines Sohnes, er schaut auf die Not, die ihn zur Umkehr führt, läuft ihm entgegen und feiert ein Fest der Versöhnung. Eine wunderbare Erzählung, die allen Trost und Hoffnung schenken kann.
So weit, so gut. Und doch bleibt etwas offen: das Ende des Gleichnisses nämlich, das gern überhört wird. Der rechtschaffende Bruder, der vom Feld heimkehrt, ist über die Versöhnungsbereitschaft des Vaters so verärgert, dass er dessen Freude nicht teilen will. „So viele Jahre schon diene ich dir, und nie habe ich gegen deinen Willen gehandelt, kaum aber ist der hier gekommen…“ – da schäumt einer vor Enttäuschung und Zorn. Wird sich dieser Bruder überwinden, ins Festzelt gehen und der Einladung des Vaters folgen? Das Evangelium gibt darauf keine Antwort.
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Ganz offensichtlich überlässt Jesus die Fortsetzung der Geschichte der Phantasie seiner Hörerschaft. Vor allem den empörten Pharisäern und Schriftgelehrten unter ihnen, die ähnlich wie der enttäuschte Bruder denken: rechtgläubig, rechtschaffen und immer „on the safe side of the road“!
Den ehemaligen Erzbischof von Recife in Brasilien, Dom Helder Camara, hat dieses offene Ende des Gleichnisses so bewegt, dass er sagte, er bete unaufhörlich für die Bekehrung des Bruders des verlorenen Sohnes. Dann fährt er fort: „Der Erste ist aufgewacht aus der Sünde. Der Zweite – wann wird er aufwachen aus seiner Tugend?“
Die „Tugendwächter“ beim Synodalen Weg, die sich gerade erst der Menschlichkeit machtbewusst in den Weg gestellt haben, geben dem Thema leider eine tragische Aktualität. Das Grundsatzpapier des Reformprozesses für eine Liberalisierung der katholischen Sexuallehre ist an der Sperrminorität der Bischöfe gescheitert.
Aufwachen aus ängstlicher Verklemmtheit und überkommenen Vorstellungen! Das ist es: Ein stiller Aufruf Jesu an alle Tugendwächter dieser Erde, der Barmherzigkeit Gottes nicht im Wege zu stehen.
Diakon Gerrit Schulte