Die Bischöfliche Kommission Mission, Entwicklung, Frieden hat in ihrer Sitzung Anfang Dezember 2016 ein Positionspapier zum Freihandelsabkommen TTIP verabschiedet. Die Stellungnahme im Wortlaut:
Fairer Handel statt freien Handels
– Stellungnahme der Bischöflichen Kommission Mission, Entwicklung und Frieden in der Diözese Osnabrück zum geplanten Freihandelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA –
Mitte Mai 2015 stimmte die Mehrheit der Abgeordneten des Europäischen Parlaments für die Fortsetzung der Verhandlungen zum Freihandelsabkommen TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership, auf Deutsch: Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft). In den nächsten Monaten werden die Verhandlungsgespräche daher auf verschiedenen Ebenen weitergeführt. Bundeskanzlerin Merkel hat sich dafür ausgesprochen, das Abkommen noch innerhalb der Regierungszeit von US-Präsident Barack Obama, also bis zum Herbst 2016, zu verabschieden. Über TTIP wurde auch auf der G7-Konferenz auf Schloss Elmau beraten.
Es ist kaum zu bestreiten, dass Freihandelsabkommen wirtschaftliche Aktivitäten stimulieren können; in welchem Ausmaß dies geschehen würde, ist allerdings auch unter Wirtschaftsexperten umstritten. Der Grundgedanke und das Ziel werden aber von vielen bundesdeutschen Politikern und Wirtschaftsvertreter begrüßt: Das Freihandelsabkommen werde Rendite, Arbeitsplätze, Wachstum und Wohlstand schaffen, so lauten die Versprechen.
Beim TTIP geht es vor allem um den Abbau nichttarifärer Handelshemmnisse (von engl. tariff, Steuern, Zoll). Dies ist durchaus wünschenswert, soweit es um Regeln geht, die nur zum Ziel haben, den eigenen Markt abzuschotten, wie dies z. B. bei technischen Normen, Verpackungsvorschriften oder Ausschreibungsmodalitäten der Fall sein kann. Es besteht aber die berechtigte Sorge, dass TTIP zu einer Schwächung von Sozial-, Gesundheits- und Umweltstandards führen wird, zumal wenn man sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigt. Befürchtet wird beispielsweise, dass es zu einer Absenkung der Rückstandshöchstgrenze von Pestiziden kommen könnte. Diese und ähnliche Maßnahmen wären eine Gefahr für die Menschen und die Umwelt. Die hohen Standards der EU in diesen und anderen Feldern (Menschenrechte, Verbraucherschutz, Sicherheit) könnten dabei ausgehebelt werden.
Ein weiteres erhebliches Problem stellt die geplante Einführung eines privaten Schiedsgerichtsverfahrens dar, das einem Unternehmen ermöglicht, einen Staat außerhalb der öffentlichen Gerichte anzuklagen, wenn es seine Investition durch einen staatlichen Eingriff beeinträchtigt sieht. Dadurch könnten auf die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler Zahlungsverpflichtungen in Milliardenhöhe zukommen. Äußerst fragwürdig ist auch die fehlenden Transparenz: Nur einige wenige EU-Abgeordnete erhalten Einblick und müssen unter Strafandrohung zusichern, keine Informationen an die Öffentlichkeit weiterzuleiten. Fraglich ist zudem, welche Einflussmöglichkeiten das EU-Parlament und der Deutsche Bundestag haben werden, ob sie z. B Änderungen an den ausgehandelten Verträgen verlangen können.
Aus der Sicht der Bischöflichen Kommission ergeben sich darüber hinaus noch andere wichtige Anfragen. Im Mittelpunkt der Arbeit der Kommission steht die weltkirchliche Perspektive. Dabei reflektiert die Kommission u. a. die Auswirkungen politischer und wirtschaftlicher Entscheidungen auf die Länder des globalen Südens. Aus Sicht der Kommission wird die Diskussion um TTIP aus einem verengten Blickwinkel geführt:
a) Nahezu völlig vernachlässigt wird in wirtschaftspolitischen Debatten, ob mehr Wachstum in den reichsten Regionen der Welt aus globaler Perspektive betrachtet wirklich erwünscht und zukunftsfähig ist. Seit Jahren debattiert man über ein anderes Wohlfahrtskonzept und legt Bekenntnisse zu einem umweltgerechten, ressourcenschonenden Wachstum ab. In den bisherigen Verhandlungen scheint das aber so gut wie keine Rolle zu spielen.
b) Die Ziele von TTIP und die Ziele des Klimaschutzes scheinen sich zu widersprechen. Es wäre darum genau zu prüfen, welche Auswirkungen mehr Handel hat im Hinblick auf die Zusagen, den Klimawandel wirksam zu bekämpfen. In der Regel führt mehr Transport und verstärkter Warenaustausch zu mehr Schadstoff- und Treibhausgasemissionen. Die Notwendigkeit einer
kohärenten Politik, d. h. eines abgestimmten Vorgehens in unterschiedlichen Politikfeldern, bleibt völlig unberücksichtigt.
c) Es sind einmal mehr die reichen Länder, die sich durch solch ein Abkommen Vorteile zu Lasten Dritter verschaffen und faktisch Standards auch für andere Frei- und Welthandelsabkommen setzen. TTIP wird darum auch die Entwicklung globaler Handelsregeln beeinflussen – und würde von der EU und den USA auch als Blaupause für zukünftige Abkommen mit Schwellen- und Entwicklungsländern verwendet werden. Es drängt sich der Verdacht auf, dass hinter TTIP globale strategische Interessen stehen. Der politische und ökonomische Machtverlust infolge der Verschiebungen im globalen Machtgefüge zugunsten der aufstrebenden Schwellenländer (der BRICS-Staaten sowie derjenigen G20-Staaten, die nicht zu den G7 zählen) ist der eigentliche Grund für TTIP: Das Abkommen soll der EU und den USA ihre nach wie vor dominante Rolle in einer immer stärker multipolaren Welt erhalten. Bilateralismus heißt das Zauberwort. Die bessere Alternative wären multilaterale Handelsabkommen im Rahmen der WTO. Eine Beteiligung aller Länder würde auch dem Prinzip globaler Partnerschaft entsprechen, das für die Verhandlungen zum Klimaschutz und für die Ziele einer nachhaltigen Entwicklung im Rahmen der Vereinten Nationen (Post-2015-Agenda) im Jahr 2015 von großer Bedeutung ist.
Auf jeden Fall müssen die weiteren TTIP-Verhandlungen sehr kritisch verfolgt werden. Dies erfordert größtmögliche Transparenz, eine demokratische Beteiligung der Parlamente und eine Einbeziehung der Zivilgesellschaft.
Osnabrück, im Dezember 2015