Teilen im Trend?!

zwei Hände brechen Baguette
Bild: photocase.de, manun

Der kleine Junge, der vor 1700 Jahren in der römischen Provinz Pannonien (dem heutigen Ungarn) als Sohn eines römischen Offiziers geboren wurde, sollte ein besonderer Mann werden. Einer, der später zum beliebtesten Heiligen auf der Welt wurde: St. Martin.

Es ist vor allem eine Szene aus seinem Leben, die die Menschen fasziniert und an die jedes Jahr erinnert wird, wenn Hunderttausende Kinder mit Laternen durch die Straßen ziehen: Ein kalter Wintertag. Martin, der römische Offizier, sieht den frierenden Bettler. Sieht dessen Not. Er nimmt sein Schwert, trennt den Mantel. Die Legende berichtet nicht, dass er lange überlegt hat. Oder ob er sich gefragt hat, ob der Bettler nicht selbst schuld sei an seinem Leid. Eine Szene, die über die Jahrhunderte zum Symbol für das Teilen wurde. Und bis heute ist. Apropos heute? Wie sieht es heute eigentlich mit dem Teilen in unserer Gesellschaft aus?

Modetrend Teilen: die Sharing Economy

Teilen ist in und hip. Vor allem dank dem Megatrend der sogenannten Sharing Economy teilen und tauschen immer mehr Leute. Sie überlassen ihre Wohnungen Fremden, wenn sie selbst nicht da sind. Sie bieten sich und ihr Auto beim Fahrdienst „Uber“ an oder vermieten Haushalts- und Gartengeräte. Laut Umfragen einer Unternehmensberatung hat in Deutschland mehr als jeder zweite Bürger bereits Sharing-Angebote wie „Airbnb“ genutzt. Wird mehr geteilt, werden weniger Ressourcen gebraucht, es wird weniger produziert und die Umwelt geschont. Einer der positiven Effekte der Sharing Economy.
Es gibt aber auch kritische Stimmen. Manche sagen: Was Angebote wie „Uber“ und „Airbnb“ betreiben, sei gar kein Teilen. Dort kapitalisieren lediglich Leute ihre Wohnungen in meistens guten Stadtteilen, damit andere Leute mit ohnehin schon guten materiellen Ressourcen sie mieten können. Die Historikerin Luise Tremel von der Stiftung Zukunftsfähigkeit sagte bei einem Symposium zum Thema Sharing Econmoy: Sankt Martin habe wirklich geteilt. Und nicht seinen Mantel, als er ihn nicht brauchte, stundenweise vermietet.

Frau hält Kohlrabi in die Kamera
Anika Girotto ist Botschafterin von Foodsharing Osnabrück e.V. Mehrmals die Woche bestückt sie die öffentlichen Kühlschränke mit Lebensmitteln, die von jedem genutzt werden können. Bild: Kirchenbote

Essen fair teilen

Die Blätter der Salatköpfe sind ein wenig welk am Rand. Die Gurke hat ein paar kleine Dellen und die Radieschen glänzen nicht mehr. Im Supermarkt wurde das Gemüse aussortiert. Es sollte im Müll landen. Jetzt liegt das Gemüse im Kühlschrank an der Außenwand des Pfarrhauses in Christus König in Osnabrück und wartet darauf abgeholt zu werden. Der Kühlschrank ist ein sogenannter Fairteiler. Betrieben wird er vom Verein Foodsharing Osnabrück e.V. „Es muss nicht sein, dass Lebensmittel weggeworfen werden“, sagt Anika Girotto. Seit 2014 sammelt sie zusammen mit anderen jungen Erwachsenen, sogenannten Foodsavern, Obst, Gemüse oder Backwaren bei Supermärkten oder Bäckereien, die nicht mehr verkauft werden. Dann werden sie in die zwei öffentlichen Kühlschränke in Osnabrück gepackt. Dort kann sich dann jeder etwas nehmen. Oder etwas hineinlegen.
„In unserer Konsumgesellschaft gibt es viele Menschen, die wegen billigen Angeboten die dreifache Menge kaufen, sie aber nicht verbrauchen“, sagt Girotto. So schnell wie der Kühlschrank in Christus-König mit Lebensmitteln gefüllt ist, so schnell ist er auch oft wieder leer. „Wir haben hier oft Obdachlose, die am Pfarrhaus klingeln. Sie bekommen von uns dann Lebensmittelgutscheine. Jetzt raten wir Ihnen aber auch zusätzlich, doch mal draußen in den Kühlschrank zu gucken“, erzählt Pfarrer Bernhard Stecker und ergänzt. „Der Fairteiler ist sicher nicht die Lösung aller Probleme, aber ein kleines Element, das vielen Menschen hilft.“

Ralf und das Teilen

Osnabrück, Einkaufsmeile, Montagnachmittag, 5 Grad. Ein weißer Mc Donalds Pappbecher, gefüllt mit ein paar Münzen, steht vor einem Einkaufszentrum. Hinter dem Becher sitzt Ralf, tief in eine Decke gehüllt. Seit fünf Jahren ist er wohnungslos, seitdem bettelt er. „Ich glaube, viele geben gerne etwas. Manche vielleicht auch nur, um etwas für ihr Gewissen zu tun. Aber mir ist das egal. Es hilft mir. So oder so.“
Was ihn ärgert: „Es gibt immer mehr Jugendliche, die mich anpöbeln und Sachen sagen wie ‚Geh doch arbeiten!‘ oder ‚Der versäuft doch sowieso alles‘.“
Studien zeigen, dass Vorurteile gegenüber Wohnungslosen zugenommen haben. Im Sozialstaat Deutschland muss doch niemand betteln gehen, hört man oft. Selbst schuld. „Die Hilfsbereitschaft und die Toleranz gegenüber Wohnungslosen haben abgenommen“, sagt auch Stefan Kunz, Referent für Wohnungslosenhilfe bei der Caritas. Nach Schätzungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) waren 2014 circa 335 000 Menschen wohnungslos. 2008 waren es noch 227 000. „Der Winter ist das Härteste am Leben auf der Straße“, sagt Bruno und schaut mit steifen Augen vor sich auf die Straße. Viele laufen an ihm vorbei, ohne ihn zu beachten. „Es ist nicht schlimm, wenn man mir kein Geld oder etwas zu essen gibt, aber die Leute sollen mich nicht missachten.“

Etwas sehr Wertvolles teilen

Im Bistum Osnabrück wird an vielen Orten geteilt. Geld, Essen, Kleider oder andere Gegenstände. Beispielsweise in den Einrichtungen für Wohnungslose im Bistum wie in der Wärmestube in Osnabrück. Über 100 Hilfsbedürftige kommen jeden Tag in die Einrichtung, die nur durch Spenden getragen wird. Für sie gibt es kostenlos Frühstück und Mittagessen, sie können Sanitär-, Ruhe- und Aufenthaltsräume nutzen, sich neu einkleiden oder ihre Sachen waschen lassen. Die Hilfsstelle besteht bereits seit 1981 als reiner Spenden- und Freiwilligenbetrieb. Jeden Tag kommen ehrenamtliche Helfer, die etwa das Mittagessen kochen, Speisen servieren oder in der Kleiderkammer helfen. Und so wie sie gibt es jeden Tag Zehntausende Menschen im Bistum, die mit ihren anderen etwas sehr Wertvolles teilen: ihre Zeit.