Stein des Anstoßes
Schwestern und Brüder! Kommt zum Herrn, dem lebendigen Stein, der von den Menschen verworfen, aber von Gott auserwählt und geehrt worden ist! Lasst euch als lebendige Steine zu einem geistigen Haus aufbauen, zu einer heiligen Priesterschaft, um durch Jesus Christus geistige Opfer darzubringen, die Gott gefallen! Denn es heißt in der Schrift: Siehe, ich lege in Zion einen auserwählten Stein, einen Eckstein, den ich in Ehren halte; wer an ihn glaubt, der geht nicht zugrunde. Euch, die ihr glaubt, gilt diese Ehre. Für jene aber, die nicht glauben, ist dieser Stein, den die Bauleute verworfen haben, zum Eckstein geworden, zum Stein, an den man anstößt, und zum Felsen, an dem man zu Fall kommt. Sie stoßen sich an ihm, weil sie dem Wort nicht gehorchen; doch dazu sind sie bestimmt. Ihr aber seid ein auserwähltes Geschlecht, eine königliche Priesterschaft, ein heiliger Stamm, ein Volk, das sein besonderes Eigentum wurde, damit ihr die großen Taten dessen verkündet, der euch aus der Finsternis in sein wunderbares Licht gerufen hat.
1 Petrus 2,4-9
„Aus dir wird nie was!“ Dieses Urteil musste ein Junge aus dem Munde des geliebten Großvaters hören – und es hat ihn Zeit seines Lebens verfolgt. Der Junge wurde erwachsen und studierte in Königsberg, Würzburg und Freiburg. Er wurde Lehrer für Geschichte, Deutsch und Religion. Er beherrschte alte Sprachen und interessierte sich für zeitgenössische Kunst. Selbst mit über 70 Jahren fuhr er mit seiner Frau im alten Ford Granada an einem langen Wochenende selber nach Spanien, nur um in Madrid eine Ausstellung zu besuchen. Er schätzte den Mystiker Jakob Böhme und den Dichter Stefan George und hörte leidenschaftlich gern die Musik Richard Wagners. Dieser Mann war mein Lehrer in der Oberstufe. Ich verehre ihn bis heute. Und doch nagte zeitlebens dieser Wurm in ihm: „Aus dir wird nie was.“ – er wurde über 100 Jahre alt …
Menschliche Urteile sind vernichtend und vernichten anderes Leben. „Aus dir wird nie was“ musste Jesus zwar nicht hören, wohl aber wurde an ihm in breiter Form das Urteil exekutiert: „Aus dem darf nichts werden.“ Die Art und Weise wie Jesus den Glauben Israels verstand, lehrte und selber lebte war nicht nur eine Provokation für die institutionalisierte Religion seiner Zeit, sondern auch eine Gefährdung der religiös Mächtigen und der damaligen politischen Ordnung. Jesus hat Menschen die Angst genommen: die Angst vor dem Leben, die Angst vor Gott und auch die Angst vor dem Morgen. Wer so etwas tut, sägt an der Macht derer, welche die Angst der anderen brauchen, um herrschen zu können. So einer steht im Weg wie ein unnützer Findling. Der stört wie ein Stein, der im Wege liegt. Solch einen kann man nicht brauchen. Aus dem wird nichts, weil andere nicht wollen, dass er was werden soll.
Das Bibelfenster
Hier kommentieren jede Woche Menschen aus dem Bistum Osnabrück eine Bibelstelle aus einer der aktuellen Sonntagslesungen – pointiert, modern und vor allem ganz persönlich.
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Die Lesung aus dem Petrusbrief gebraucht ein Bild aus Psalm 118, um die Geschichte des Jesus von Nazaret, vielmehr seine Beseitigung und sein Ende, zu beschreiben und zu deuten. Es ist das Bild des verworfenen Bausteins, der sich aber als tragendes Fundament des zukünftigen Gebäudes erweist.
Jesus bleibt jedoch weiterhin ein Stein des Anstoßes. Seine Lehre ist weiter anstößig für diejenigen, die Glauben nur als Folklore und Moral, als rituelles Mäntelchen für diverse Lebenssituationen gelten lassen wollen. Jesus ist kein Provokateur sagt unser Text, er ist in seiner Person selber der eigentliche Skandal. „Skandalon“ ist das griechische Wort für Anstößigkeit und kantige Abgrenzung. Dass Jesus der Gott sein soll, der Mensch wird, mit den Menschen leidet und einen elenden und schmählichen Tod am Kreuz stirbt, bleibt eine Herausforderung, welche auch in Kirche und Christentum oftmals süßlich und fromm übertüncht wird.
Sich zu einem solchen Gott zu bekennen, das eigene Leben darauf zu bauen, war für Menschen in der Zeit des Petrusbriefs ein Wagnis – und ist es bis heute geblieben. Jesus ist Bote und Botschaft zugleich. Er ist die Provokation des Bisherigen und gleichzeitig das Versprechen auf ein gelungenes Leben.
„Aus dir wird nie was!“ Das Schicksal des Jesus von Nazaret zeigt, dass Urteile nur das vorletzte Wort im Dasein eines Menschen sind, das letzte Wort aber hat das Vertrauen in die Macht, die Liebe und das Leben, welches Gott verheißen hat. Jesus ist die Stein gewordene Erfüllung dieser Hoffnung geworden. Darauf können wir setzen.
Pastor Michael Lier