Träumen vom Danach
Dokumentation der Osterpredigt von Bischof Franz-Josef Bode in der Osternacht am 3. April 2021
,…am dritten Tag auferstanden von den Toten…‘ So heißt es in unserem Glaubensbekenntnis. Schnell beten wir darüber hinweg. Aber in diesem Jahr, liebe Schwestern und Brüder, erleben wir hautnah, wie quälend lang diese drei Tage werden können, wenn sie sich über ein Jahr hinziehen voll Dunkelheit und Leid, wenn der Karfreitag sich weitet – noch mehr als sonst schon – über die ganze Welt, in der täglich tausende grausame Tode gestorben werden; wenn der Karsamstag sich zieht, der Tag des großen Schweigens Gottes, wo unsere Fragen ungelöst bleiben angesichts dieser Fundamentalkrise in Gesellschaft und Kirche und für viele Einzelne in ihrer Lebens- und Existenzbedrohung und -angst.
Auch diese Nacht ist noch nicht einfach überwunden, in der wir uns zum zweiten Mal nach einem Jahr einschränken müssen auf das Wesentliche der Liturgie, in der uns jede ausgiebige Osterfeier versagt ist. Und morgen werden uns die fröhlichen Begegnungen und Spaziergänge fehlen, nach denen Familien und Freundeskreise sich so sehnen.
Ja, diese drei Tage sind lang, da Ostern so schwer zu entdecken ist. Der Dichter Andreas Knapp hat es wieder einmal auf den Punkt gebracht:
osternachtstraum
ein schwarzer alptraum
vor dem unlösbaren
rätsel kreuz
wortlos
und schlaflos
die nacht ohne ende
kein wecker
der erlöst…
A. Knapp, ganz knapp. Gedichte an der Schwelle zu Gott, Würzburg 2020, S. 99
Doch genau in solcher Lage, wie sie uns alle lähmt, machen sich Frauen in aller Frühe bei Tagesanbruch auf mit wohlriechenden Ölen, um wenigstens dem Tod für den geliebten Menschen noch eine Würde abzutrotzen. Sie wollen Jesus salben, wenn sie ihn schon nicht wiederhaben können. – Wie gern würde mancher Trauernde in dieser Pandemiezeit einen solchen allerletzten Dienst an seinem lieben Toten noch tun?!
Indem sie sich Gedanken machen, wie sie überhaupt an den Toten herankommen bei dem unmöglich großen Stein vor dem Grab, gehen sie trotzdem weiter und erleben das, was sie vollends aus der Fassung bringt. Markus spricht mehrfach vom Erschrecken: ,Er ist nicht hier.‘ ,Dort ist die Stelle.‘ ,Sucht den Lebenden nicht bei den Toten.‘ ,Längst ist er in Galiläa, wo er mit euch doch alles angefangen hat.‘
Schade, dass die Leseordnung den letzten Satz des Evangeliums nicht mit vorsieht. Er lautet: „Da verließen sie das Grab und flohen; denn Schrecken und Entsetzen hatte sie gepackt. Und sie sagten niemandem etwas davon; denn sie fürchteten sich.“ So endet das Markusevangelium völlig ungelöst mit der offenen Frage in aller Angst und Furcht: Was denn jetzt?
Das Evangelium endet so verstörend offen, dass man schon im 2. Jahrhundert einen neuen Schluss anhängte, der den Leser dann versöhnt in die Osterherrlichkeit entlässt. Aber ist dieses erste, harte Ende für uns in diesem Jahr nicht angemessener, wo wir selbst das Halleluja nicht gemeinsam singen dürfen, wo wir alle noch nicht wissen, was wird – trotz Impfungen und komplizierten Regelwerken?
Und dennoch spüren wir alle, wie sehr wir Ostern brauchen, wenn auch zunächst in Schrecken, Verwirrung und Furcht. Wie sollten wir unsere Verzagtheit, ja fast abgestumpfte Trauer überwinden, diese lange Nacht, ohne ein Ziel, ohne ein Danach?! Das wird freilich anders sein als die Zeit davor, wie auch der Auferstandene sich anders zeigt als nur ein verlängert Lebender, ein reanimierter Leichnam.
Nein, ganz neu und strahlend erscheint er, und doch mit den Wundmalen, denn unsere Vulnerabilität, unsere Verwundbarkeit hat er mitgenommen in sein neues Leben, damit er uns weiter und ganz neu beistehen kann und uns neue Nähe und Gemeinschaft schenkt inmitten aller Distanz und Trennung.
Sie wissen, wie sehr ich den Auftrag des Engels, des Boten der Auferstehung, liebe: „Er geht euch voraus nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen.“ Voriges Jahr habe ich in der Silvesterpredigt dieses Galiläa beschrieben als den Ort der künftigen Kirche: nah bei den Menschen, aufrichtend und heilend, in einem neuen, demütigen und freimütigen Lebensstil – eben wie Jesus in Galiläa.
Der Theologe und Philosoph Tomáš Halik hat diesen Gedanken in der Deutung der Pandemie für die Kirche großartig aufgegriffen. Er mahnt uns, die leeren Kirchen, das völlig veränderte Leben und Verhalten derzeit als Herausforderung für die Zukunft anzunehmen und das heutige Galiläa unter denen zu suchen, die auf der Suche sind. Er schreibt:
„Wenn uns die Leere der Kirche an ein leeres Grab erinnern wird, sollten wir nicht die Stimme von oben überhören: ,Er ist nicht hier. – Er ist auferstanden. – Er geht euch voraus nach Galiläa.‘ Die Anregung zur Meditation für dieses seltsame Ostern lautet: Wo ist dieses Galiläa von heute, wo können wir dem lebendigen Christus begegnen? Soziologische Studien sagen uns, dass in unserer Welt die ,Beheimateten‘ weniger werden (und zwar sowohl diejenigen Menschen, die sich völlig mit einer traditionellen Form von Religion identifizieren als auch die Anhänger eines dogmatischen Atheismus) und die ,Suchenden‘ mehr werden. Darüber hinaus steigt jedoch die Anzahl der ,Apatheisten‘ – Menschen, die sowohl religiöse Fragen als auch traditionelle Antworten gleichgültig lassen.
Die Hauptlinie der Aufteilung läuft nicht mehr zwischen denjenigen, die sich für Gläubige halten und denjenigen, die sich für Ungläubige halten. ,Suchende‘ gibt es sowohl unter den Gläubigen (das sind diejenigen, für die der Glaube nicht ein ,ererbtes Eigentum‘ ist, sondern eher ,ein Weg‘), als auch unter den ,Ungläubigen‘, die religiöse Vorstellungen ablehnen, die ihnen ihre Umgebung vorlegt, die jedoch trotzdem die Sehnsucht nach einer Quelle spüren, die ihren Durst nach dem Sinn stillen könnte. Ich bin davon überzeugt, dass dieses ,Galiläa von heute‘, wohin man gehen soll, um den Gott zu suchen, der durch den Tod hindurch ging, die Welt der Suchenden ist. … Wo begegnen wir ihm heute übrigens mit größerer Gewissheit, wenn nicht gerade in den Wunden der Welt und in den Wunden der Kirche, in den Wunden des Körpers, die er auf sich genommen hat? … Nehmen wir die kommende österliche Zeit als Aufruf zu einem neuen Suchen von Christus an. Suchen wir nicht den Lebenden unter den Toten. Suchen wir ihn mutig und ausdauernd und lassen wir uns nicht dadurch verwirren, dass er uns wie ein Fremder erscheinen mag.
Wir werden ihn erkennen an seinen Wunden, an seiner Stimme, wenn er uns vertraut anspricht, an seinem Geist, der den Frieden bringt und die Angst vertreibt.“
Tomáš Halik, Christentum in Zeiten der Krankheit, MFThK 2. 4. 2020
Soweit Tomáš Halik.
Liebe Schwestern und Brüder, ich kann mich diesem Ruf nur anschließen in der Hoffnung und Zuversicht, dass diese sich so lang ziehenden schweren Tage uns öffnen für neue Wege, neue Blicke, neue Sehnsucht, neues Leben. Deshalb endet der Osternachtstraum von Andreas Knapp auch nicht mit der „schlaflosen nacht ohne ende“: Vielmehr heißt es:
doch dann
A. Knapp, ganz knapp. Gedichte an der Schwelle zu Gott, Würzburg 2020, S. 99
in der ferne ein feuer
du reibst dir
den tod aus den augen
du wirst erwartet
am anderen ufer
ein traum
von einem traum
Nichts anderes ruft Papst Franziskus uns zu in einer seiner jüngsten Schriften „Wage zu träumen!“ Nichts anderes wünsche ich mir für uns alle in dieser Nacht und in diesen Zeiten. Amen.