Die Flasche, in der früher Kirschwasser war – Materialwert gleich null, ideeller Wert: unbezahlbar! Ebenso ein vergilbtes Foto oder ein alter Teddybär: Was Menschen heilig ist, ist sehr unterschiedlich und auf den ersten Blick manchmal kaum zu verstehen. Diakon Carsten Lehmann aus Osnabrück hat für eine Ausstellung Dinge mit besonderem Wert gesammelt und fotografiert. Auf dieser Seite gibt es einige Beispiele aus seiner Sammlung:
Teddybär
„1938 hat meine Mutter meinen Vater kennengelernt. In dem Jahr muss es wohl gewesen sein, dass er ihr diesen Teddy geschenkt hat. Kindergärtnerin war sie, in einem wohlhabenden Privathaushalt. Der Teddy passte also gut zu ihr. Etwas mehr als ein Jahr später am 26. August 1939 haben sie geheiratet, nur wenige Tage vor der allgemeinen Mobilmachung zum unseligen 2. Weltkrieg. Mein Vater ist 1942 in Russland gefallen, drei Monate nach meiner Geburt. Er hat mich nicht mehr kennenlernen können und ich ihn auch nicht. Aber dieser Teddy, der ist geblieben. Meine Mutter hat ihn ihr ganzes Leben gehütet – zum Spielen war er nicht gedacht. Als meine Mutter starb, ging er in meinen Besitz über. Ein wahrer Schatz!“
von Helga Burke
Kriegsdienstverweigerungsbescheid
„Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden.“ So steht es im 4. Artikel (Absatz 3) des Grundgesetzes. 1949 wurde der nach heftigem politischen Streit in die Verfassung aufgenommen. Für mich wurde das vor fast 50 Jahren ganz konkret. Am 19. April 1973 berief ich mich auf dieses Recht und stellte einen – damals noch notwendigen – ausführlichen schriftlichen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung. In der Folge saß ich ein halbes Jahr später zur mündlichen Verhandlung vor dem Prüfungsausschuss beim Kreiswehrersatzamt Coesfeld. Der Vorsitzende, ein Jurist, und drei ehrenamtliche Beisitzer entschieden nach eingehender Befragung am 11. Oktober: „Der Wehrpflichtige ist berechtigt, den Kriegsdienst mit der Waffe zu verweigern.“ Für mich und meinen weiteren Lebensweg ist das ein unbezahlbarer S(ch)atz. Denn nicht allein der Prüfungsausschuss, sondern ich selbst hatte mich geprüft und mich entschieden: Auf der Grundlage dessen, was ich vom Evangelium verstanden hatte, gegen den Rat des Umfeldes, unter Inkaufnahme der Folgen. Wenn es einen Punkt in meinem Leben gibt, an dem ich „erwachsen“ geworden bin, dann ist es dieser.
Was folgte war 1974 der „Zivile Ersatzdienst“ – so hieß das damals – in einer Tagesbildungsstätte der Caritas für geistig und körperlich behinderte Kinder und Jugendliche in meiner Heimatstadt Rheine. Mitten in der Stadt, auf einem ausgebombten Fabrikgelände, im ruinösen Rest eines baufälligen Verwaltungstraktes. Ein Ort, der mich geprägt hat, und der bis heute mein Ort in der Kirche ist.“
von Diakon Gerrit Schulte
Ein alter Bilderrahmen
„Seit 1999 begleitet mich auf all meinen Umzügen dieser kleine Bilderrahmen. Er ist etwas verborgen und uralter Staub hat sich auf ihm abgesetzt. In meiner Erinnerung sah er schon immer so aus, dieser kleine ovale Bilderrahmen. Und er ist immer aus dem Rahmen gefallen, denn um ihn herum standen und stehen schon immer eckige Bilderrahmen. Das Foto ist ein wenig zerknittert, man erkennt es, wenn man den Rahmen in die Hand nimmt und im Licht spiegelt.
Genau so stand er schon in meiner Kindheit auf dem Biedermeierschränkchen im Wohnzimmer meiner Großmutter. Drumherum lauter mit unbekannte Gesichter. Ab und zu erzählte sie mir, wer das alles war. Aber es war immer dieses eine Foto, dieser eine Rahmen, der es mir angetan hatte. „Das ist Dein Großonkel“ – mein Großonkel! Ein freundlich dreinblickender Mann, vor einer Tür, dann diese Säulen, den Kopf leicht schräg gelegt. Er schien mir immer nahe, er faszinierte mich. Alles, was mit über sein Leben erzählt wurde, habe ich aufgesogen, jede Geschichte wollte ich mehr als einmal hören. Die Erinnerungen meiner Großmutter, die meiner Mutter, aber auch die der Menschen in seiner Heimatstadt, für die seine Heimatbesuche etwas besonderes waren. Humorvoll soll er gewesen sein, voller Witz und Ironie, aber auch Weisheit und viel Verständnis. Die Menschen mochten seine Geschichte, Sie mochten seinen tiefen Glauben. Und auch ich mochte all das an ihm, es hat mich beschäftigt, warum er so gelebt hat, wie er gelebt hat. Ich bin ihm nie begegnet, und doch hat er mich beeinflusst. Wie wunderbar, einen solchen Großonkel zu haben! Als meine Großmutter 1999 starb, durfte ich diesen Bilderrahmen mitnehmen. Er steht seither auf meinem Klavier. Ab und an erzähle ich meinen Kindern von ihm und auch seiner Schwester, meiner Großmutter. Pater Willibrord Terheggen, OSB, starb 1962 während eines Zimmerbrandes in der Dormitio-Abtei auf dem Zionsberg in Jerusalem.“
von Pastorin Jutta Tloka
Eine leere Kirschwasser-Flasche
„Man müsste noch mal zwanzig sein, und so verliebt wie damals … Ich glaube, dann entschied ich mich, nochmal, nochmal für Dich.“ Willi Schneider hat das gesungen – mit vier oder fünf Jahren wusste ich nicht, wer das war. Aber sein bekanntestes Lied konnte ich ohne Probleme mitsingen.
Es war wahrscheinlich irgendwann in den 60ern, als meine Großeltern sich diese Flasche aus dem Urlaub im Schwarzwald mitgebracht hatten. Ich erinnere mich noch an den Duft des Kirschwassers, der aus dem damals schon leicht maroden Korken strömte. Im Inneren des Holzfußes befindet sich eine Spieluhr. „Man müsste noch mal zwanzig sein“, spielt sie.
Weitere Infos
- Mehr zur Ausstellung erfahren Sie hier im Artikel des Kirchenboten; die Ausstellungsstücke sind inzwischen wieder zu ihren Besitzerinnen und Besitzern zurückgekehrt.
- In der Kirchenzeitung des Bistums Osnabrück gibt es jede Woche eine Rubrik mit den Titel „Das ist mir heilig“, die von Leserinnen und Lesern bestückt wird. Wenn Sie sich an der Aktion beteiligen möchten, schreiben Sie eine E-Mail an: heilig@bistumspresse.de
Dieses Lied steht für mich bis heute für Geborgenheit, Nähe und dafür, dass da jemand ist, der oder die einen ohne jede Bedingung liebt – einfach weil man da ist. Auf dem Schoß meines Großvaters zog ich die Spieluhr auf und er sang mir das Lied vor – immer und immer wieder. Das dabei gleichzeitig seine Garvis Brasil brannte und die Zigarre uns in Nebelwolken hüllte, war mir damals egal. Aus der Küche hörten wir meine Großmutter, die am Gasherd einen Eintopf kochte. Wunderbar!
Zwanzig möchte ich nicht mehr unbedingt sein, aber noch einmal einen Tag bei meinen Großeltern als Fünfjähriger, dafür würde ich Einiges geben.
von Diakon Carsten Lehmann