„Wegweisendes Zeichen für Dialog und Kooperation“

Kirchen und Land unterzeichnen Vereinbarung über neues Schulfach Christliche Religion
In Niedersachsen gibt es bald ein neues Schulfach: Die evangelischen Kirchen und katholischen Bistümer in Niedersachsen haben am Freitag, 5. September, in Hannover eine Vereinbarung mit dem Land Niedersachsen über die Einführung des Unterrichtsfachs „Christliche Religion nach evangelischen und katholischen Grundsätzen“ (kurz: Christliche Religion) unterzeichnet.
Anstelle der bisherigen Unterrichtsfächer Evangelische Religion und Katholische Religion wird an den öffentlichen allgemeinbildenden Schulen ein Religionsunterricht eingeführt, der inhaltlich gemeinsam von den katholischen Bistümern und evangelischen Kirchen in Niedersachsen verantwortet wird. Das Fach wird aufsteigend im Primarbereich und im Sekundarbereich I zum 1. August 2026 verpflichtend eingeführt. In dieser Form ist das Fach einmalig in Deutschland.
„Mit dem neuen Fach ‚Christliche Religion‘ setzen wir ein wegweisendes Zeichen für Dialog und Kooperation. Ein gemeinsam verantworteter Religionsunterricht ist gerade in der heutigen Zeit ein wichtiges zeitgemäßes Signal: Er eröffnet Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, über Vielfalt und Unterschiede nachzudenken und Respekt sowie Toleranz gegenüber anderen zu entwickeln. Auf diese Weise wird das neue Schulfach ‚Christliche Religion‘ nicht nur einen wichtigen Beitrag zur religiösen Bildung von Kindern und Jugendlichen in Niedersachsen leisten, sondern zugleich die demokratischen Werte, die unser Zusammenleben prägen, deutlich stärken“, sagt Kultusministerin Julia Willie Hamburg, die die Vereinbarung für das Land Niedersachsen unterzeichnet hat.
Im Mai 2021 hatten die kirchlichen Schulreferentinnen und -referenten ein Positionspapier vorgestellt, dass die Weiterentwicklung des bisherigen konfessionellen und konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts zu einem gemeinsam verantworteten christlichen Religionsunterricht zur Diskussion stellte. Daran schloss sich ein breit angelegter Beratungsprozess auf unterschiedlichen Ebenen an. Die offiziellen Verhandlungen mit dem Land Niedersachsen über die Einführung des neuen Faches begannen zu Jahresbeginn 2023.
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In Niedersachsen haben im Schuljahr 2023/2024 gut 536.000 Schülerinnen und Schüler evangelischen, katholischen oder konfessionell-kooperativen Religionsunterricht besucht. Knapp 239.000 Schülerinnen und Schüler nahmen dabei am konfessionell-kooperativen Religionsunterricht teil, 260.000 am evangelischen Religionsunterricht, 37.000 am katholischen Religionsunterricht. 218.000 Schülerinnen und Schüler entschieden sich für die Teilnahme an den Fächern Werte und Normen und Philosophie. Der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die am christlichen Religionsunterricht teilnehmen, lag in Niedersachsen damit im Schuljahr 2023/2024 bei 66 Prozent. Der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die der evangelischen oder katholischen Kirche angehören, betrug 2023 rund 53 Prozent. Wie bisher sind Schülerinnen und Schüler anderer Konfessionen oder Religionen sowie ohne Konfession eingeladen, auf eigenen Wunsch an dem neuen Unterrichtsfach teilzunehmen.
Im Dezember 2024 unterschrieben die fünf evangelischen Kirchen in Niedersachsen und die vier katholischen Bistümer eine Vereinbarung über die Einführung eines gemeinsam verantworteten Christlichen Religionsunterrichts. Die Unterzeichnung der Vereinbarung zwischen den Kirchen und dem Land im September 2025 ist jetzt der letzte rechtlich notwendige Schritt vor dem Start der Einführung des neuen Faches im Schuljahr 2026/2027.
„Ich bin sehr dankbar, dass Land und Kirchen gemeinsam den Religionsunterricht verantworten und jetzt das neue Unterrichtsfach auf den Weg bringen. Das Besondere des Faches „Christliche Religion“ ist, dass es sich konsequent an den Schülerinnen und Schülern orientiert: an ihren Fragen, ihren Erfahrungen und ihren Antworten“, sagt Bischof Thomas Adomeit (Oldenburg), Ratsvorsitzender der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen. „Die christliche Religion mit ihren evangelischen und katholischen Grundüberzeugungen bildet dabei die Grundlage und prägt auch die Perspektive auf die anderen Konfessionen wie die Orthodoxie und die anderen Religionen wie Judentum und Islam. Dazu kommen Philosophien und Weltanschauungen. Das Ziel ist, dass Schülerinnen und Schüler religiös gebildet sind und für sich klären können, woran sie „ihr Herz hängen“, was ihrem Leben Sinn und Orientierung gibt und wo sie Gemeinschaft finden. Das ist gerade in dieser Zeit von großer Bedeutung.“
Für die katholische Kirche sagt Bischof Heiner Wilmer SCJ (Bistum Hildesheim): „Das neue Unterrichtsfach ist die konsequente Weiterentwicklung des konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts, der seit über zwei Jahrzehnten in Niedersachsen erfolgreich praktiziert wird. Das neue Fach bietet jungen Menschen Orientierung durch das gemeinsame und zugleich vielfältige Zeugnis christlicher Werte. Es zeigt Gemeinsamkeiten und Unterschiede auf, reflektiert sie und macht so konfessionelle Vielfalt zum Thema, aber auch die der anderen Konfessionen, Religionen und Weltanschauungen. Dabei fördert es die Fähigkeit zu einer differenzierten Wahrnehmung und zur Identitätsbildung – verbunden mit einer dialogorientierten Offenheit gegenüber anderen Glaubensüberzeugungen und Konfessionslosen. Religiöse Bildung ist mehr als reine Wissensvermittlung in Fragen von Religion. Sie ist Einladung zur Auseinandersetzung mit existenziellen Fragen, zur Reflexion über Lebensentwürfe und zur Entwicklung einer gesprächsfähigen Identität. Sie schafft Raum für Verständigung, für Dialog, für Respekt, für Mitmenschlichkeit.“
Neben den Bischöfen Wilmer und Adomeit nahmen unter anderem Bischof Dominicus Meier OSB (Osnabrück), die Kirchenpräsidentin der Evangelisch-reformierten Kirche, Susanne Bei der Wieden (Emden), die Landesbischöfe Ralf Meister (Hannover) und Oliver Schuegraf (Schaumburg-Lippe), Weihbischof Wilfried Theising (Vechta), Generalvikar Msgr. Michael Bredeck (Paderborn) sowie Oberlandeskirchenrat Thomas Hofer (Braunschweig) an dem Festakt in Hannover teil. Sie haben die Erklärung gemeinsam mit Kultusministerin Julia Willie Hamburg unterschrieben.
Seit rund zweieinhalb Jahren bereiteten Arbeitsgruppen der Kirchen und des Landes die curricularen und organisatorischer Grundlagen für die Einführung des neuen Fachs vor und erarbeiten Fortbildungs- und Konzeptionierungsangebote. Die Kerncurricula für das neue Fach Christliche Religion in der Primarstufe und in der Sekundarstufe I befinden sich aktuell in der öffentlichen Anhörung und sollen im Herbst dieses Jahres fertiggestellt werden. Danach können die Schulen sie erproben und die schuleigenen Curricula erarbeiten. Die Kommission zur Erarbeitung der Rahmenrichtlinien für das Fach an den berufsbildenden Schulen nimmt in diesen Tagen ihre Arbeit auf.
„Der Religionsunterricht an den öffentlichen Schulen ist etwas Besonderes und Wertvolles. Er steht als einziges Schulfach unter dem Schutz des Grundgesetzes, weil es bei ihm um die Ausübung der positiven Religionsfreiheit geht. Im Religionsunterricht lernen Schülerinnen und Schüler u.a. ihre eigene sowie andere Religionen und Weltanschauungen besser zu verstehen und in den Dialog mit anderen Überzeugungen zu treten. Dazu bietet jetzt auch das neu konzipierte Fach „Christliche Religion“ einen zukunftsfähigen Rahmen sowie viele Chancen und Perspektiven,“ sagt Prälat Prof. Felix Bernard vom katholischen Büro Niedersachsen.
„Als vor ziemlich genau sechs Jahren die ersten Gedanken an einen von den Bistümern und Landeskirchen gemeinsam getragenen Religionsunterricht wie bunte Luftballons aufstiegen, waren wir uns nicht sicher, ob diese Idee an der kirchlichen und schulischen Realität zerplatzen würde. Heute nach unzähligen Beratungen, Verhandlungen, Gutachten, Textentwürfen ist sicher, diese Idee war keine heiße Luft, sondern hat neue innovative Möglichkeiten für dieses Unterrichtsfach aufgezeigt“, sagt Oberlandeskirchenrätin Kerstin Gäfgen-Track als Bevollmächtigte der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen. „Es sind mittlerweile viele, die mit uns gemeinsam diesen Religionsunterricht für Schülerinnen und Schüler entwickeln und weiterdenken. Dabei haben wir als Kirchen neu unsere Gemeinsamkeiten bestimmt und gelernt, die Unterschiede als Bereicherung zu begreifen.“