Wie ein Wasserkrug im heißen Sommer
Ein vergessenes Schild sorgte beim Fest der Kulturen in Quakenbrück für einen Aha-Effekt. Warum, davon erzählt Dominik Blum, Pfarrbeauftragter in der Pfarreiengemeinschaft Artland, im Interview: In seiner Pfarreiengemeinschaft gibt es mehrere Projekte, die sich unter dem Stichwort „gemeinwohlorientierte Pastoral“ zusammenfassen lassen. Diese will sich radikal am Wohl der ganzen Kommune oder Region ausrichten und hat zudem viele positive Effekte für die Pfarrgemeinde.
Herr Blum, gemeinwohlorientierte Pastoral – was steckt hinter diesem Ansatz?
Dahinter steckt die Idee, dass wir uns als Pfarrgemeinde überlegen, wie wir gesellschaftlich wirksam sein können. Oder wie wir überhaupt wirksam werden können, könnte man angesichts der geringen gesellschaftlichen Relevanz der Kirche, sagen. Ich denke unsere Pfarrgemeinde als Kirche vor Ort soll sich in die Fragen einbringen, die hier in Quakenbrück dran sind. Und das so, dass sie sich völlig absichtslos mit anderen, nichtkirchlichen Gruppen und Verbänden zusammentut und an dem arbeitet, was gerade wichtig ist. Dann sind wir nicht wichtiger als die anderen, wir müssen nicht die anderen stärken und vorangehen, wir müssen uns nur einbringen in das, was hier im Ort weiterhilft.
Aber kann man überhaupt etwas absichtslos machen?
Die Absicht ist, ganz für die Leute da zu sein. Jesus heilt nicht, damit der Kranke ihm nachfolgt, sondern damit es diesem wieder besser geht. Und so würde ich unsere Absicht bei der Wasseraktion beschreiben: Es geht uns darum, dass die Leute keinen Durst mehr haben. Und nicht: Wir sind hier, damit ihr wisst, wir sind von der katholischen Kirche und machen Messdienerarbeit. Insofern steckt schon eine Absicht dahinter, die liegt aber im Wohl der anderen und nicht in unserem.
Also, back to the roots, zurück an die Wurzeln: Mach es wie Jesus.
Ja, das kann man sicher so sagen!
Kirche bringt sich mit Kitas, Schulen, Caritas doch in die Gesellschaft ein. Was ist der Unterschied zu den Projekten in der Pfarreiengemeinschaft?
Unsere Haltung in der Gemeinde ist: Wir möchten dazu beitragen, dass Menschen gut leben können. Dazu gehört natürlich die Kita und die Caritas. Aber es gibt ein anderes Engagement, bei dem es nicht um uns als Kirche geht, sondern radikal um die anderen. Ich verzichte auf Strategien, ich verzichte darauf, meine Position zu festigen, mich unverzichtbar zu machen. Es ist ein radikaler Dienst an der Gemeinschaft. Dazu passt ein schöner Satz von Papst Franziskus: Verkündet allzeit das Evangelium, notfalls auch mit Worten. Es ist eine Verkündigung zwischen den Zeilen, sozusagen.
Wirkt denn gemeinwohlorientierte Pastoral sozusagen wie ein katholisches U-Boot?
Ob man das mit einem U-Boot vergleichen kann, weiß ich nicht. Wenn ich an eine unserer Aktionen denke, würde ich eher vom Wasserkrug im heißen Sommer sprechen. Wir haben beim Fest der Kulturen in Quakenbrück an einem brüllend heißen Tag kostenlos Wasser verteilt. Es stand einfach „Wasserverband Bersenbrück“ am Stand und nicht „Katholische Pfarreiengemeinschaft im Artland“. Das hatten wir schlicht vergessen – aber ich war im Nachhinein froh darum. Denn es war total spannend, weil uns die Leute dauernd gefragt haben, wer seid ihr, warum macht ihr das? Wenn da katholische Kirche drangestanden hätte, hätten sie sich die Fragen gespart. So kamen wir gut ins Gespräch. Wenn das eine U-Boot-Taktik ist, ist es nur eine unabsichtliche.
Gibt es noch weitere Beispiele aus Ihrem Bereich?
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Die Pfarreiengemeinschaft im Artland findet sich hier im Internet
Wir haben festgestellt, und da kann man gut den Wandel sehen, dass die Oberschule Artland in Quakenbrück überhaupt kein Interesse mehr hat, an den klassischen Punkten von Pastoral mit uns zusammenzuarbeiten. Also zum Beispiel sagte die Schule uns: Wir brauchen eure Schulgottesdienste nicht mehr. Dann könnte man sich ja beleidigt zurückziehen. Oder sagen: prima, haben wir einen Job weniger. Wir haben umgekehrt die Schule gefragt: Was braucht ihr? Wo würdet ihr von einer Zusammenarbeit profitieren? Wir haben uns mit einem Angebot an der Projektwoche der Schule beteiligt. Es gab die Chance, Schülerinnen und Schülern zu zeigen: Schule ist nicht immer ein „beschämendes System“, wie es einer meiner Kollegen sagte. Wir sortierten die Kinder und Jugendlichen nicht nach „Was könnt ihr?“ „Was seid Ihr“, sondern bei uns konnten sie mitmachen und wir versuchten einen besonderen Umgangston in der Woche zu etablieren. Also die Schritte, die wir schaffen, sind natürlich klein. Aber sie sind spürbar.
Ein anderes Beispiel ist die offene Jugendarbeit, die wir hier etabliert haben – wobei offene Jugendarbeit genauso wenig ein Spezifikum unserer Tätigkeit ist, wie die gemeinwohlorientierte Arbeit als solche. Aber es war spannend, wie es zustande gekommen ist: Die Samtgemeinde Artland hat einen Streetworker für die Jugendlichen eingestellt. Wir haben uns mit ihm unterhalten und er sagte: Ich habe viele Jugendliche, aber keine Räume, wo diese sich in der Freizeit aufhalten können. Da habe ich gesagt: Ja prima, wir haben eine Menge Räume, aber keine Jugendlichen. Und so waren wir im Dienst am Gemeinwohl der Kommune sofort im Gespräch. Es kommen dann natürlich Leute, die sagen: Das sind alles Jugendliche, die sich bei uns in der Pfarrgemeinde nicht engagieren, die keine Messdiener werden oder nicht in die Kirche kommen. Aber ich finde gerade deshalb müssen wir diesen Jugendlichen die Räume zur Verfügung stellen.
Und wie waren die Reaktionen?
Es gab von den Ehrenamtlichen bei der Wasseraktion auch die Frage: Sollen wir nicht ein großes Plakat aufhängen von der Pfarreiengemeinschaft oder für die Messdienerarbeit sammeln? Das war eine Reaktion, die finde ich legitim, die kann ich gut verstehen. Aber gleichzeitig haben die, die mitgemacht haben, festgestellt: Boah, mit so vielen Leuten an einem Tag sind wir noch nie ins Gespräch gekommen. Weil wir einen Stand gemacht haben, wo alle Leute hinmussten, um Hände zu waschen oder zu trinken. Wir waren, anders als sonst, mitten im Geschehen. Und ganz viele der Ehrenamtlichen haben gesagt: Wir machen den Wasserstand im nächsten Jahr wieder.
Auch die Reaktionen von Kolleginnen und Kollegen aus anderen Pfarrgemeinden waren sehr gut. Oft wird aber gesagt, zu so etwas kommen wir nicht, weil wir andere Sachen tun müssen. Von vielen Pastoraltheologen hört man, wir wenden 90 Prozent der Kraft für zehn Prozent der Gläubigen auf – nämlich nur für den engsten Kern der Gemeinde. Wir müssen aber diesen Faktor umdrehen und mehr Kraft in die Leute investieren, die nicht in der Gemeinde sind. Wir müssen auf die anderen Menschen schauen. Wir sind ja Christen für die Welt – und nicht nur für die Kerngemeinden und nicht nur für die Katholiken. Das ist ein wichtiger Punkt.
Wenn jetzt eine Gemeinde oder ein Pastoralteam sagt: Ja, das sind tolle Ideen, so etwas in die Richtung könnten wir uns auch vorstellen. Was sind die ersten Schritte?
Der erste Schritt, und das tun schon sehr viele, ist mit ganz großen Augen und Ohren zu gucken und zu hören, was brauchen die Leute da, wo wir Kirche sind. Was ist wirklich los und wer hat welche Fragen? Wofür engagieren sich die Menschen außerhalb der Kirche? Was sind Themen, wo wir etwas dazu beitragen und uns einklinken können? Das können übrigens auch religiöse Themen sein: Wir haben beispielsweise für die ukrainischen Flüchtlinge, neben der Unterstützung beim Ankommen, einen Gottesdienst auf Ukrainisch und in ihrem Ritus organisiert. Da kamen 20 bis 30 Leute und sagten: Dieses Angebot macht sonst keiner für uns. Gemeinwohlorientiert ist das, weil die Menschen nicht nur soziale Bedürfnisse haben, sondern auch religiöse. Das kann sehr unterschiedlich sein.