Zum Verstehen und Nachdenken – Impulse zum Sonnengesang
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Franz von Assisi ist ein Dichter. Mit dem Sonnengesang komponierte er ein helles, zärtliches Lied, das von seiner eindringlichen Kraft bis heute nichts verloren hat. Es ist ein poetisches Glaubensbekenntnis, das gesungene Vertrauen, dass Gott eine gute Welt erschaffen hat und sie leidenschaftlich liebt.
Zur Entstehung
Man könnte meinen, ein glücklicher Mensch hätte diesen Text geschrieben. Doch Franziskus liegt im Winter 1224/25 viele Wochen schwerkrank in einer abgedunkelten Hütte nahe seiner Heimatstadt Assisi. Er kämpft mit großen Schmerzen und schweren Gedanken.
In einer Nacht müssen Dunkelheit und Verzweiflung besonders schlimm gewesen sein. Franziskus rettet sich ins Gebet und bekommt eine Verheißung geschenkt: „Wenn die Erde und das Weltall aus reinem Gold wären, würde dieser Schatz doch nur ein schwaches Abbild dessen sein, was das ewige Leben ausmacht.“ Das Herz des Schwerkranken wird weit. Dieser Zuspruch öffnet eine Perspektive über alle Mühe und alles Leid hinaus. Endlich weiß er wieder: Bei dieser Trostlosigkeit wird es nicht bleiben. Gott will die Fülle für uns, Licht und nie enden wollende Liebe. Zuversicht bricht in ihm auf, Worte finden sich, der Sonnengesang kann entstehen.
Zum Verstehen
Das Lied lobt Gott mit und durch alle Geschöpfe. Die ersten Strophen nennen Sonne, Mond und Sterne. Sie weisen mit dem Himmel auf Gottes eigenen Bereich hin. Dann wird die irdische Welt mit den vier Elementen gepriesen: Aus Luft, Wasser, Erde und Feuer/Energie besteht die ganze Mitwelt: Pflanzen, Tiere und Menschen. Die Siebenzahl dieser Urgeschöpfe verweist darauf, dass Himmel und Erde eine untrennbare Ganzheit bilden, vom Schöpfer als Gesamtwerk geschaffen – gut, heilig und geschwisterlich.
Aber Franziskus weiß gut, niemand findet den Himmel, der die Erde verachtet. Materielles und Geistliches, Leib und Seele sind innig verknüpft und Teil dieser heiligen Ganzheit. Er verbindet deshalb brüderliche Geschöpfe kontrastvoll und harmonisch mit den schwesterlichen, allen ist die Erde eine liebevolle sorgende Mutter. Mit Früchten und Blumen hält sie jenen Reichtum bereit, von dem alle leben können.
In 33 Versen – ergänzt durch die Menschenstrophe und jene über den Tod, die Franziskus erst kurz vor seinem Sterben hinzufügt – erinnert der Heilige daran, dass Gottes Sohn selbst 33 Jahre in dieser Welt gelebt hat. Weil Christus uns ein Bruder wurde, verbindet sein Leben und Sterben den Himmel und die Erde, Vergängliches und Ewiges. Deshalb kann Versöhnung gelingen und selbst der Tod braucht ein Mensch guten Willens nicht zu erschrecken. Er kommt als „unsere Schwester, der leibliche Tod“, nicht furchterregend sondern liebevoll, als Botin, die uns in Gottes neue Welt begleitet.
Zum Nachdenken
Der Sonnengesang gilt als erste Dichtung in der italienischen Volkssprache. Franziskus spricht mit Gott in seiner Alltagssprache. Das kann uns sagen: Die Begegnung mit Gott braucht nichts Außerordentliches. Sie findet dort statt, wo du bist.
Der Text ist nicht aus einem Guss. Franziskus kennt Bruchstellen, Patchwork-Identität und Ungereimtheiten in seinem Leben. Das kann uns sagen: Für Gott muss niemand perfekt sein. Er liebt uns so, wie wir sind.
Das Lied ist in einer dunklen Stunde geschrieben. Franziskus spürt Verzweiflung und Not. Das kann uns sagen: Das tiefste Gotteslob entsteht nicht unbedingt in größter Freude. Es entsteht dort, wo wir vertrauen.