24. Dezember 2020

Ein Engel mit langem Flügel steht auf Wolken.
Jakob Philipp Hackert (1737-1807), Kopie nach Nicolaes Berchem (1620 - 1683), Die Verkündigung an die Hirten, 1779, Öl auf Leinwand Bild: Kunstpalast Düsseldorf

„Fürchtet Euch nicht“, ruft der Engel

Seit ich denken kann, baut meine Mutter zu Weihnachten unsere Krippe auf. Zusammen mit mir ist sie gewachsen. Je älter ich wurde, desto zahlreicher wurden die Figuren, die in einer Landschaft aus Moos, Sand, Zweigen und Steinen rund um den Stall von Bethlehem stehen. Nicht zu vergessen die sich stetig vergrößernde Schar an Schafen!

Zu meinen Lieblingsfiguren aus Kindertagen gehört der Verkündigungsengel. In ein schimmerndes Gewand gehüllt, zwei große Flügel auf dem Rücken, zieht er Jahr für Jahr die Blicke der staunenden Hirten auf sich. Als Kind hatte ich besondere Freude an dem glänzenden, mit Goldfäden durchzogenen Stoff des Engelgewandes.

Die Hirten auf den Feldern von Bethlehem erschrecken über den Engel, der ihnen in der Weihnachtsgeschichte erscheint. Zu hell, zu klar, zu anders erscheint ihnen das Licht, das ihn umgibt. „Fürchtet euch nicht“ – das Wort, das der Engel an die Hirten richtet, steht in einem merkwürdigen Kontrast zu seiner beeindruckenden Erscheinung.

Vielleicht ist es gerade der Glanz der Erscheinung, der die Hirten glauben lässt, was sie hören: „Fürchtet euch nicht“. Die Begegnung mit dem Engel bewirkt, dass sie sich in Bewegung setzen, ihre Routinen hinter sich lassen, ihrer Neugier folgen. Der Glanz öffnet ihnen die Augen. Hellsichtig erkennen sie im neugeborenen Jesuskind Gottes Wort, das ihnen zuruft: „Fürchtet euch nicht!“

Ohne den großen Verkündigungsengel wäre die Krippe meiner Mutter nicht komplett. Ohne den Engel auf den Feldern von Bethlehem gäbe es keine Weihnachtsgeschichte. Der Engel, das ist die überraschende Erfahrung von Größe und Glanz, die die Routinen des Alltags durchbricht und in den Provisorien des Lebens den Erlöser sichtbar macht: Christ, der Retter, ist da.

Regina Wildgruber