3 Fragen zum Religionsunterricht an … Prof. Dr. Martin Belz (Universität Osnabrück)

Prof. Dr. Martin Belz
Prof. Dr. Martin Belz Bild: Universität Osnabrück | Jens Raddatz

1) Welche prägende Erfahrung und/oder Erkenntnis haben Sie aus Ihrem eigenen Religionsunterricht mitgenommen?

In der Mittelstufe wollte ich zeitweilig den katholischen Religionsunterricht abwählen oder in ein anderes Fach (Ethik/Evangelische Religion) wechseln. Viele Themen kamen mir langweilig vor, es ging mehr um das Lernen von Inhalten, deren Lebensbezug sich mir nicht erschloss, als um ein wirkliches Verständnis religiöser und theologischer Fragen. Das änderte sich in der Oberstufe mit einem jungen engagierten Religionslehrer, dessen Unterricht mich nachhaltig geprägt hat. Insbesondere die wissenschaftspropädeutische Durchdringung von theologischen Fragestellungen, etwa die Auseinandersetzung mit der Religions- und Gotteskritik von Feuerbach, Marx und Nietzsche sowie mit der Theodizeefrage, die historisch-kritische Beschäftigung mit dem Lebensweg Jesu und mit Fragen der Christologie weckten mein Interesse am Religionsunterricht neu. Darüber hinaus diskutierten wir im Kurs intensiv kontroverse bioethische Fragestellungen, damals vor allem in Bezug auf die Chancen und Risiken der Präimplantationsdiagnostik, das (von Rom kritisch betrachtete) kirchliche Engagement in der Schwangerschaftskonfliktberatung und die neuen Möglichkeiten des Klonens von Tieren. Diese Erfahrungen und die prägende Rolle meines Religionslehrers haben mich schließlich bestärkt, ein Lehramtsstudium mit dem Fach Katholische Theologie aufzunehmen. Ich wollte noch genauer wissen, „was die Welt im Innersten zusammenhält“ (Goethe, Faust I, v. 382–383). Die Kirchengeschichte, und damit die reiche Tradition christlicher Glaubenserfahrungen und pluraler Kirchenbilder, kam in meinem Religionsunterricht leider etwas zu kurz; zu ihr bin ich erst im Studium gekommen.

2) Welche biblische Geschichte würden Sie für den Religionsunterricht als Anregung oder als besondere Herausforderung empfehlen?

Aus der Vielzahl biblischer Geschichten eine oder zwei auszuwählen, ist gar nicht so einfach. Neben vielen anderen, die mir einfallen, nenne ich beispielhaft die folgenden zwei, die ich während meiner Tätigkeit als Religionslehrer selbst im Unterricht verwendet habe und als anregend wie herausfordernd empfand:

Als Anregung: die Schöpfungsgeschichte(n). In ihnen ist im übertragenen Sinn alles enthalten. Gott ruft die Welt ins Dasein und alles ist gut. Hier sind auch die großen Themen der Anthropologie bereits angelegt: die Personalität und Individualität jedes Menschen, die diverse Identitäten von männlich und weiblich einschließen, seine Würde und seine Verantwortung, die sich aus der Gottebenbildlichkeit ergeben, die menschliche Freiheit zum Guten wie zum Bösen. Damit sind die Fragen nach dem Woher und Wohin, nach dem Ursprung des Bösen, nach der Freiheit des Menschen sowie nach seinem Verhältnis zu seinen Mitmenschen, zur Umwelt und zu Gott bereits gestellt. Zugleich bieten die Texte die Möglichkeit zur kritischen Reflexion der spezifischen Sprachformen der Bibel – die Schöpfungsgeschichten sind keine modernen Zeitungsberichte – und zur Auseinandersetzung mit naturwissenschaftlichen Weltbildern und diesbezüglichen Anfragen an die biblischen Texte.

Als besondere Herausforderung: Passion und Auferstehung Jesu. Wie lässt sich erklären, dass Gott das unsagbare Leid der Kreuzigung zulässt? Warum muss Gottes Sohn sterben? Hier schwingt wieder die Theodizeefrage mit. Und wie lassen sich die Auferstehungstexte theologisch plausibel verstehen? Auch sie sind keine Zeitungsberichte, die verschiedenen Überlieferungen in den Evangelien stimmen in ihren Details nicht überein. Schülerinnen und Schülern ein Verständnis für die Aussageweise dieser Texte zu vermitteln – als Zeugnistexte der nachösterlichen Glaubenserfahrungen der ersten Jüngerinnen und Jünger –, empfand ich stets als Herausforderung. Als besonders eindrücklichen Text empfinde ich bis heute die Geschichte der beiden Jünger auf dem Weg nach Emmaus: Im gemeinsamen Gehen mit Jesus, im Auf-dem-Weg-Sein erschließt sich ihnen der Lebensweg Jesu sowie die Bedeutung seiner Kreuzigung und Auferstehung. Dennoch verstehen sie die Geschichte nicht ganz. Erst beim Brotbrechen und Segensgebet erkennen sie ihn. Im gleichen Moment „entschwand [er] ihren Blicken“ (Lk 24,31). Sprachlich wird hier der Unterschied zwischen natürlichem Sehen und gläubigem Erkennen des Auferstandenen verdeutlicht und so der Kern der christlichen Auferstehungsbotschaft zum Ausdruck gebracht.

3) Welche Erwartungen und/oder Hoffnungen verbinden Sie mit zukünftigem Religionsunterricht?

Der Religionsunterricht der Zukunft sollte die gemeinsamen christlichen Traditionen, Glaubensüberzeugungen und Werte herausstellen, unabhängig davon, ob dies in einem konfessionellen oder interkonfessionellen Rahmen (etwa dem CRU) geschieht. Wichtig erscheint mir vor allem, dass Schülerinnen und Schüler in einer religiös zunehmend pluralen Welt eine religiös sensible Wahrnehmungs-, eine kritische Deutungs- und eine selbstbewusste und reflektierte Handlungskompetenz erwerben. Dazu zählen unter anderem der kritische Umgang mit religiösen Texten und ein Bewusstsein für eine religiös sensible Sprache. Im Religionsunterricht geht es nicht um die naive Kenntnis frommer Geschichten oder um ein reines Auswendiglernen von Glaubenssätzen (oder gar des Katechismus), sondern um die kritisch-offene Beschäftigung, Analyse und Deutung der konstruktiven und destruktiven, freud- und hoffnungsvollen sowie trauer- und angstbesetzten Ausprägungen von Religion(en) in Geschichte und Gegenwart. Religionsunterricht soll Schülerinnen und Schüler zum eigenständigen Denken und zur kritischen Auseinandersetzung mit religiösen Fragestellungen anregen und das Zusammendenken von Glaube und Vernunft ermöglichen.

Mit Blick auf mein eigenes Fachgebiet, die Kirchen- und Christentumsgeschichte, erscheint es mir wichtig, Schülerinnen und Schülern ein kritisches Geschichtsbewusstsein zu vermitteln. Anhand von Glaubensvorstellungen früherer Christinnen und Christen – sowie von Menschen anderer Religionen und Weltanschauungen – können Lernende den vielgestaltigen Reichtum christlicher und weiterer religiöser Traditionen kennenlernen und dabei plurale Ausgestaltungen von Kirche(n) und Religion(en) in Geschichte und Gegenwart erfahren. Dies schließt auch die sogenannten dunklen Kapitel der Kirchengeschichte mit ein: In diesem Kontext gibt ein zukünftiger Religionsunterricht den auch kirchlicherseits oft marginalisierten Gruppen vergangener und gegenwärtiger Gesellschaft(en) eine Stimme und reflektiert deren Glaubens- und Lebenserfahrungen mit dem christlich bezeugten Gott und den ihn verkündenden Kirchen. Zu nennen sind hier beispielsweise die Erfahrungen indigener Völker im Kontext von Mission und Kolonialisierung, das Glaubenszeugnis von verfolgten Personengruppen anderer religiöser Überzeugungen sowie die Lebenserfahrungen von Menschen mit verschiedenen sexuellen Orientierungen und Identitäten.

Eine solche Beschäftigung mit (früheren) pluralen Lebenswelten und Glaubensvorstellungen, die im Sinne Andreas Holzems den Blick auf eine „Geschichte des ‚geglaubten Gottes‘“ weitet, ermöglicht etwa durch das Lernen an historischen Vorbildern und Beispielen eine kritische Auseinandersetzung mit Geschichte, die auch die bewusste Abgrenzung von den vorgestellten Beispielen seitens der Lernenden beinhalten kann. Damit bietet ein zukunftsfähiger Religionsunterricht Schülerinnen und Schülern konkrete (christliche) Identitätsangebote, ohne diese als normativ vorzuschreiben, und befähigt so zu einer eigenen (religiösen) Identitätsbildung.

Zur Person:

Prof. Dr. Martin Belz hat seit 2023 die Juniorprofessur für Kirchen- und Christentumsgeschichte an der Universität Osnabrück inne. Nach dem Studium der Katholischen Theologie und Lateinischen Philologie promovierte er in Münster im Fach Mittlere und Neuere Kirchengeschichte, absolvierte das Referendariat für Gymnasien in Frankfurt am Main und war als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Mainzer Kirchengeschichte tätig. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die Ordens- und Bildungsgeschichte der Frühen Neuzeit, die Geschichte und Rezeption des Zweiten Vatikanischen Konzils, die ortskirchlichen Transformationsprozesse im 20. Jahrhundert sowie die Geschichte der Diözesen Limburg, Mainz und Osnabrück.

Bildung

Medienstellen Lingen, Osnabrück und Papenburg

Im Bistum Osnabrück gibt es an drei Standorten Medienstellen/Religionspädagogische Arbeitsstellen: In Lingen, Osnabrück und Papenburg. Diese stellen Interessierten Medien, Materialien und Literatur für die Arbeit in der Gemeinde, im Religionsunterricht und im Kindergarten zur Verfügung. Weiter Infos und Öffnungszeiten gibt es auf der Internetseite: www.medienstelle-osnabrueck.de

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