Tanz um dein Leben

Tanzschuhe Mann und Frau
Bild: pixabay.com, fancycrave1

Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht würdig. Wer das Leben gewinnen will, wird es verlieren; wer aber das Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen. Wer euch aufnimmt, der nimmt mich auf, und wer mich aufnimmt, nimmt den auf, der mich gesandt hat. 

Matthäus 10, 38-40

 

„Wer euch aufnimmt, nimmt mich auf“ –
Wie bitte?

Ein gewohnter Gedanke: Gott kommt uns durch Menschen entgegen. „Engel des Alltages“, die uns etwas von seiner Wirklichkeit erfahren lassen. Wenn wir über unseren Glauben gelegentlich ins Gespräch kommen, werden immer wieder solche Geschichten erzählt, wie die eine oder andere Begegnung für Gottes Nähe die Augen öffnete.
Wie kommt es eigentlich, dass eine mitmenschliche Begegnung die „Qualität“ bekommt, dass Gott den einen durch den anderen anrühren kann? Geschieht dies plötzlich in einem begnadeten Moment? Oder handelt es sich um besonders sensible und aufgeschlossene Menschen? Oder um Menschen in besonderen Situationen von Leid oder Glück, die in eine andere Wahrnehmung führen?

Sicher sind das mögliche Gründe. Das aktuelle Bibelwort bringt uns aber auf eine andere Spur. Jesus spricht davon, dass seine Jünger ihn verkörpern, wenn er sie mit seiner Botschaft aussendet, so wie er selbst Gott repräsentiert, wenn er mit seinen Mitmenschen in Beziehung tritt. Unter einer Voraussetzung allerdings: Die Jünger müssen bereit sein, einen tiefgreifenden Wandlungsprozess zu durchleben. Jesus gebraucht dafür eine sehr existentielle Sprache: das Leben verlieren – das Leben gewinnen. In anderen biblische Texten ist von „sterben und auferstehen“ die Rede.

Bei dieser radikalen Rede stelle ich mir die Frage: Wie passt es denn zusammen, dass manchmal ganz normale Menschen als Boten Gottes von anderen erfahren werden, Jesus allerdings von seinen Boten, die ihn repräsentieren, tiefe Wandlungsprozesse erwartet?

Auch in unserer Alltagssprache gibt es Redewendungen, die auf existentielle Erfahrungen verwiesen: Wenn sich jemand „mit Haut und Haar“ verliebt, es bei einer Entscheidung um „alles oder nichts “ geht oder jemand nach einem Erlebnis nicht mehr „derselbe“ ist. Hier wird sprachlich signalisiert, dass es jeweils um das „Ganze“ eines Menschen geht. Viel öfter als uns bewusst ist, geht es darum das „Leben zu verlieren bzw. zu gewinnen“.

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Solche existentiellen Erfahrungen, die den eigenen Kern betreffen, brauchen nicht dramatisch großartig sein, sondern können unbedeutend und anekdotenhaft daherkommen. Ich wage es, eine zu erzählen: Ich befinde mich in Irland und habe an einer internationalen Versammlung teilgenommen. Menschen mit und ohne Behinderung stellten die Delegierten; Sie kamen aus allen Kontinenten zusammen. Beim Abschlussfest waren alle Nationalitäten eingeladen, z.B. Volkstänze beizutragen. Deutsche kneifen dann gern, das kannte ich schon aus anderen Kontexten. So auch hier, aber die Pflicht siegte. Der Tanz wurde vorbereitet, ich hatte allerdings abgewunken: ohne mich. Dann wurde jemand krank. Weil gerade die Tänzer mit Behinderung sich so gefreut hatten, bin ich eingesprungen, damit der Tanz nicht ausfällt.

Wirkt es nicht anmaßend in diesem Zusammenhang davon zu sprechen, diese Erfahrung hätte etwas damit zu tun, Leben zu verlieren bzw. zu gewinnen? Wenn man bei diesem Ausdruck daran denkt, dass es um Erfahrungen geht, die mich buchstäblich ganz mitnehmen und mich im Kern betreffen, dann allerdings passt es. Ich mache mich lächerlich, wenn ich ohne geprobt zu haben mittanze. Ich darf es eigentlich gesundheitlich nicht. Ich tue etwas, worin ich nicht gut bin. Ich fühle mich nicht wohl dabei und entfremdet, bin nicht ich selbst: Sternpolka! Es war eine Selbstüberwindung, mitzumachen. Ich habe es getan, weil die Freude der Tänzer mit Behinderung, es mir wert war.

Ich kann anhand dieser kleinen Begebenheit gut nachvollziehen, dass Menschen, die für einen anderen bereit sind, Ängste und Eigenheiten zu lassen, Boten Jesu sein können. Ihn hat es ausgemacht, sich in der Liebe zu uns allen zu verlieren. Derjenige, der in seine Lebensdynamik mit kleinen oder großen Erfahrungen mitschwingt, wird ihn nahe bringen können.

Mehr „Leben“ haben wir übrigens auch gewonnen mit unserer besonderen Tanzerfahrung: innere Freiheit, mehr Gemeinschaft untereinander, gegenseitige Wertschätzung und Annahme, gerade weil den meisten von uns einiges an Selbstüberwindung abverlangt wurde. So war es am Ende, es hätte aber auch anders ausgehen können. Eine lästige Pflicht erledigt, abhaken, weiter geht’s. Weil wir alle am Ende uns beschenkt fühlten, glaube ich, dass wir etwas von der Lebendigkeit gefunden hatten, durch die Jesus in seinen erfahrenen Botinnen und Boten gegenwärtig sein will.

Ina Eggemann