Alles neu macht der Herbst

Kind mit Herbstblättern
Bild: AdobeStock.com, Volodymyr

Ist die Herbstzeit ein Bild für die Lage unserer Kirche? Alles wird welk und trocken, fällt ab, geht zugrunde? Man kann das auch anders sehen, glaube ich. Unter den Herbstblättern sind schon die Knospen des Neuen zu entdecken …

Jetzt ist es draußen schon ganz schön herbstlich. Und ich höre wieder öfter, dass Menschen Sorge vor den langen, dunklen Herbst- und Wintertagen haben. Regen und Sturm schlagen ihnen aufs Gemüt. Wenn ich ehrlich bin, geht es mir genauso, weil ich demnächst wieder morgens im Dunklen und mit Gummistiefeln mit unserem Hund Oscar durch die aufgeweichten Wiesen stapfen muss.

Die wunderbare jüdisch-deutsche Dichterin Hilde Domin hat ein kleines Gedicht über den Herbst geschrieben*. Das kürzeste Gedicht in ihrem gesamten Werk trägt den Titel „Es knospt“:

Es knospt
unter den Blättern
das nennen sie Herbst

Wenn die Blätter sich im Herbst gelb, rot und schließlich braun färben, bevor sie vom Baum herabfallen, sind in den Pflanzen längst die Blattknospen angelegt, aus denen im kommenden Frühjahr neues Laub entsteht. Im Winter durch die bräunlich Knospenschuppen umgeben, sind sie resistent gegenüber äußeren Einflüssen wie Regen, Wind und Frost. Wir sprechen vom Herbst – und der Frühling ist schon da. Wir sehen ihn nur noch nicht – oder wir übersehen ihn, weil wir zu sehr mit unserem Kummer beschäftigt sind, dass wir auf Sonne, Wärme und Licht warten müssen.

In der Bibel gibt es übrigens einen ganz ähnlichen Gedanken. „Schaut her, ich schaffe etwas Neues! Es beginnt schon zu sprießen – merkt ihr es denn nicht?“ Ein kluger Mann im Alten Testament, Jesaja, legt diese Worte Gott in den Mund. In ziemlich grauer, herbstlicher Zeit, die Leute sind mutlos und haben Angst vor Dunkelheit, Nacht und der Zukunft, da kommt dieser Gott und verspricht einen Frühling: Es fängt an zu sprießen, es wächst doch schon, merkt ihr es nicht?

Über den Autor

Dominik Blum ist Pfarrbeauftragter in der katholischen Pfarreiengemeinschaft im Artland. Zusammen mit seiner Frau hat er vier erwachsene Kinder. Die besten Einfälle, wenn es um Gott und die Welt geht, kommen ihm im Wald mit seinem Labrador Oscar oder bei Whiskey und Rockmusik.

In diesen Tagen verlassen wir in Quakenbrück die Villa in der Burgstraße. Der wilhelminische Prachtbau war für die Pfarrei St. Marien fast 120 Jahre lang das Pfarrhaus. Sehr viele Menschen finden das traurig. Oft wird geklagt: Alles wird aufgegeben, alles wird weniger und kleiner, alles geht zugrunde. Ja, es gab Zeiten, in denen Kirche gesellschaftlich und im Leben der Menschen viel bedeutsamer war als heute. Auch der persönliche Glaube hat „früher“ für mehr Menschen eine wichtige Rolle gespielt als in diesen Tagen. Leben wir also im Herbst der Kirche – oder sogar in winterlicher Zeit, wie es der Jesuit Karl Rahner zum Ende seines Lebens beschrieben hat?

Mag sein. Aber unter den Herbstblättern wächst schon etwas Neues. Wir ziehen nämlich nicht nur aus, sondern auch ein – ins Franziskushaus direkt am Marktplatz unserer kleinen Stadt. Das entspricht für mich dem, was ich in der heutigen Zeit im Blick auf Religion und Glauben insgesamt wahrnehme: Da gibt es nämlich auf dem Markt viele Möglichkeiten für die Menschen, viele Angebote, viele Anknüpfungspunkte. Wir sind nur einer davon. Wir müssen uns bemerkbar machen, wir müssen erklären, welchen Glauben wir vorschlagen, was wir anbieten. Und wir müssen Qualität abliefern. Mir gefällt diese Perspektive. Ihnen auch?

*Hilde Domin, Gesammelte Gedichte. Fischer Verlag, Frankfurt/Main, 1999, Seite 293

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