Auf dem Weg nach Telgte
Am kommenden Wochenende werden wieder viele tausend Menschen nach Telgte zum Gnadenbild der Mutter Gottes pilgern. Ich kann mich noch gut an so manche ‚heiße‘ Wallfahrt erinnern: Da bekommt das Wort ‚Schatten‘ eine ganz besondere Bedeutung, wenn du so richtig durch die Hitze gehst und die Sonne vom Himmel brennt, wenn du die Streckenabschnitte vor dir hast, wo kein Strauch, geschweige denn ein Baum steht, dann sehnst du dich eben nach Schatten, um ein wenig Kühlung zu finden.
‚Schatten‘: Gerade in solchen Zusammenhängen hat das Wort einen positiven Klang. In anderen Situationen hören wir dieses Wort hingegen durchaus anders: Niemand steht gerne im Schatten einer anderen Person; wenn ein Röntgenbild einen Schatten auf der Lunge zeigt, ist das erst einmal eine beunruhigende Nachricht; und in vielen alten Mythen und auch in der biblischen Vorstellungswelt ist der Bereich des Todes gleichgesetzt mit dem Reich der Schatten. Auf dem Weg nach Telgte hingegen erfahre ich Schatten als den Ort, den Bereich, der Schutz vor Hitze gibt und angenehme Kühle spendet.
Auch von heiligen Orten und so von Gott selbst erhoffen Menschen eine solche Wirkung: dass sie sich erholen können, zur Ruhe kommen, Schutz erfahren und die Hitze des Alltags außen vor bleibt. Viele Pilgerinnen und Pilger werden sich von dieser Hoffnung getragen auch dieses Jahr wieder den Strapazen aussetzen und den Schatten Gottes bei der schmerzhaften Mutter in Telgte suchen:
Über den Autor
Johannes Wübbe ist Weihbischof in unserem Bistum. Auf wen er in seinem Alltag trifft und was ihn bewegt – wir werden das in seinen Blogbeiträgen verfolgen.
Nachbildung der Muttergottes von Telgte aus dem Bischofshaus in Osnabrück (Bild: Bistum Osnabrück)
In der Darstellung des Gnadenbildes sitzt Maria ganz aufrecht da. Beinahe leicht scheint der Leichnam ihres Sohnes zu wiegen, den sie auf den Knien hält – so wie nach der Geburt das Kind. Doch nun: der von den Schmerzen und dem Tod gezeichnete Körper. Und so sagt das Antlitz Marias, das dem Betrachter zugewandt ist: „Ich weiß, was Leid ist. Ich musste ertragen, die Passion meines Sohnes mitzuerleben und sein qualvolles Sterben am Kreuz. Und so kann ich auch mit dir, Beterin, Beter mitfühlen, an deinen Hoffnungen und Freuden, aber vor allem auch an deinen Ängsten und Sorgen Anteil nehmen.“ Dieser Blick der Gottesmutter berührt und tröstet.
Und so spricht dieses Gnadenbild schon über Jahrhunderte Menschen an, die ihr Leben mit allen seinen Dimensionen zu dieser Mutter getragen und im Gebet, in der Meditation vor diesem Bild versucht haben, mit Maria die Antwort des Glaubens auf ihre Fragen zu erspüren. – Ja: Für betende Menschen wurde dieses Bild geschaffen; und Beterinnen und Beter sind es, die seine Botschaft wirklich verstehen.
Wenn die Pilgerinnen und Pilger dann am Sonntag Telgte wieder verlassen, singen sie im Abschiedslied:
„Wir wallen heim mit frischem Mut
zu unsern Müh´n und Sorgen.
Nimm, Mutter, uns in deine Hut,
bei dir sind wir geborgen …“
Darin drückt sich aus: Eine solche Wallfahrt kann einen kühlenden Schatten in so mancher Hitze werfen, die uns im Alltag belastet!