Auf dem Weg zur Erlösung

Drachen steigen lassen
Bild: unsplash.com, Aaron Burden

Den, der ein wenig unter die Engel erniedrigt war, Jesus, ihn sehen wir um seines Todesleidens willen mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt; es war nämlich Gottes gnädiger Wille, dass er für alle den Tod erlitt. Denn es war angemessen, dass Gott, für den und durch den das All ist und der viele Söhne zur Herrlichkeit führen wollte, den Urheber ihres Heils durch Leiden vollendete. Denn er, der heiligt, und sie, die geheiligt werden, stammen alle aus Einem; darum schämt er sich nicht, sie Brüder zu nennen.

Hebräer 2,9-11

 

Was ist eigentlich „Erlösung“? Wie „geschieht“ so etwas? Und vor allem: Was hat das mit mir zu tun?

Der Hebräerbrief schlägt einen weiten Bogen in seiner Erzählung der Geschichte des Menschen mit Gott. Er tut dies natürlich durch die Brille des Volkes Israel und der seinerzeit noch sehr jungen Kirche. So konnten sich die damaligen Christen als Teil eines großen Geschehens betrachten. Zentrum dieser Erzählung ist Jesus. Aber er wird nicht so sehr als der Botschafter des Reiches Gottes verstanden, sondern er selbst ist die Botschaft, die durch die junge Gemeinde verkündet wird. Nicht, was Jesus erzählt hat wird hier zum Thema. Auch nicht wie er gelebt und gehandelt hat. Vielmehr wird er als der Messias, Erlöser und Christus gefeiert – und zwar einzig aufgrund seines Todes.

Ist dieses Denken für uns heutige noch nachvollziehbar? Wir sprechen heute doch eher von der Art und Weise wie Jesus den Gott Israels neu interpretiert und den Menschen verkündet hat. In seinem Denken von Gott war nicht vorgesehen, zu sterben, um diesen Gott zufrieden zu stellen. Schon gar nicht kam in der Rede Jesu vor, dass ein Gott von Menschen beleidigt werden könne und diese Beleidigungen nach Vergeltung rufen. Gott kann nur eines: lieben! Das ist der Kern der Predigt Jesu. Die Richtigkeit dieser Aussage bedarf keines „Opfers“. Sie würde genauso gelten, wenn Jesus als alter Mann im Bett gestorben wäre.

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Aber wir müssen auch den Text und das Denken der Verfasser des Hebräerbriefs ernst nehmen. Wie kommen sie dazu, zu meinen, dass der Tod Jesu am Kreuz ein auch für uns notwendiger Wendepunkt ist? Ich denke, es dreht sich hier um die alte Frage: Warum müssen gute Menschen Böses erleiden? Dass es darauf keine endgültige Antwort geben kann, war den Verfassers unseres Textes sicherlich bewusst. Sie bieten von daher ihre persönliche Interpretation als Hilfe an. Trifft das unsere Situation? Ist das unser Empfinden? Ich denke, dass muss und darf offen bleiben.

Mir gefällt, dass hier aber Jesus als Bruder der Menschen gesehen wird. Was er auf Erden gelebt hat bleibt sein Attribut auf ewig! In seinem Brudersein allen Menschen gegenüber so wie es die Evangelien beschreiben liegt die Lösung des Rätsels wie ein Gott für uns sein müsste. In seiner Art, Bruder gerade der religiös Abgehängten zu sein, bezeugt Jesus seinen Abba, seinen Vater. Erlösung geschieht zunächst so, dass Jesus die Menschen von Angst machenden Vorstellungen über Gott befreit. So können Menschen gelöster leben.

Erlösung hat also damit zu tun, dass ich mich traue, mich von verkehrten Gottesbildern zu lösen. Ich bin nicht der „Erlösung“ bedürftig, weil ich ein schlechter Mensch wäre. Ich bedarf der gelösten Art zu leben, wie es mein Bruder Jesus den Menschen gezeigt hat. Ich will von seinem Leben, Glauben und Leiden lernen – dann wird hoffentlich auch mein eigenes Sterben gelingen.

Pastor Michael Lier