Auf seine Weisung warten die Inseln
Siehe, das ist mein Knecht, den ich stütze; das ist mein Erwählter, an ihm finde ich Gefallen. Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt, er bringt den Nationen das Recht. Er schreit nicht und lärmt nicht und lässt seine Stimme nicht auf der Gasse erschallen. Das geknickte Rohr zerbricht er nicht und den glimmenden Docht löscht er nicht aus; ja, er bringt wirklich das Recht. Er verglimmt nicht und wird nicht geknickt, bis er auf der Erde das Recht begründet hat. Auf seine Weisung warten die Inseln. So spricht Gott, der Herr, der den Himmel erschaffen und ausgespannt hat, der die Erde gemacht hat und alles, was auf ihr wächst, der dem Volk auf ihr Atem gibt, und Geist allen, die auf ihr gehen. Ich, der Herr, habe dich aus Gerechtigkeit gerufen, ich fasse dich an der Hand. Ich schaffe und mache dich zum Bund mit dem Volk, zum Licht der Nationen, um blinde Augen zu öffnen, Gefangene aus dem Kerker zu holen, und die im Dunkel sitzen aus der Haft.
Jesaja 42, 1-7
„Auf seine Weisung warten die Inseln“, heißt es beim Propheten Jesaja. Das Bistum Osnabrück ist reich an Inseln: Langeoog, Spiekeroog, Norderney, Baltrum, Borkum, Juist … also auch reich an Menschen, die auf diesen Inseln leben. Und reich an Touristen, die Kraft tanken wollen für Leib und Seele. Warum warten dann ausgerechnet die Inseln auf die Weisung des Herrn?
Dazu müssen wir ein paar tausend Jahre zurückgehen. Inseln stehen aus Sicht des Alten Testamentes zumeist für weit entfernte, unzugängliche Gegenden, man kann sie nur mit Booten und Schiffen erreichen. In biblischen Zeiten eine eher gefährliche, ja abenteuerliche Angelegenheit. Man denke nur an den Schiffbruch des Apostels Paulus vor Malta, den uns die Apostelgeschichte des Neuen Testamentes überliefert. Die hebräische Schrift verbindet mit Inseln auch Küstenregionen oder das Ende menschlichen Lebensraumes. Der Prophet Jesaja nennt denn auch die Inseln und die „Enden der Erde“ (Jesaja 41,5) in einem Satz. Inseln gelten zudem als Orte, die mit nichtjüdischen, heidnischen Völkern in Verbindung gebracht werden.
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„Auf seine Weisung warten die Inseln.“ Damit betont der Prophet also einen universalen Anspruch: Der „Gottesknecht“ schafft Gerechtigkeit für alle Völker und Nationen. Kein Herrscher, der schreit und lärmt und auf den Gassen seine Stimme erschallen lässt. Ein Gegenbild zu vielem, was wir in unserer Zeit erleben: Populisten, Herrscher, die auf Twitter regieren, mit alternativen Fakten manipulieren oder mit den neuen Medien Demokratien und Menschenrechte untergraben. Despoten, die Kriege führen und Terror unterstützen. Dagegen stellte schon Jesaja den Knecht, an dem Gott gefallen findet, weil er Gerechtigkeit schafft, der Gefangene aus der dunklen Haft des Unrechts holt, der zum Licht der Nationen wird und blinde Augen öffnet. „Auf seine Weisung warten die Inseln.“ Ein kleiner Satz also mit einem großen Anspruch.
Recht und Gerechtigkeit für die ganze Erde. Heute beansprucht das zuerst die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“. Die christlichen Kirchen haben sich viele Jahre schwer damit getan. In einer Predigt las ich kürzlich die Worte: „Dass der Mensch unveräußerliche Rechte habe, die mit seiner bloßen Existenz gegeben sind, dass Menschenrechte nicht nur gegenüber dem Staat, sondern auch gegenüber der Kirche geltend zu machen sind, all das wurde noch vor nicht allzu langer Zeit von den Kirchen bestritten. Inzwischen haben beide, die evangelische wie die katholische Kirche, mit den Menschenrechten Frieden geschlossen, mehr noch: sie verstehen sich inzwischen als Anwälte und Verfechter dieser Rechte, auch wenn sie manchmal selbst ins Visier von Menschenrechtsschützern geraten.“ Gut so! Denn wer mit offenen Augen durch die Welt geht, erkennt bald: Es gibt noch viele Inseln des Unrechts auf dieser Erde, die warten auf Gerechtigkeit.
Gerrit Schulte, Diakon