Marienstatue in Wietmarschen
Rund 800 Jahre alt ist eine Marienstatue, zu der die Menschen nach Wietmarschen pilgern. Dabei war die Gottesmutter ein Jahrhundert lang verschwunden …
Kurz vor zwölf, draußen fallen ein paar Regentropfen, ein Gewitter liegt in der Luft. Jetzt klingt es in der Kirche von Wietmarschen wie leises Donnergrollen. Aus dem gegenüberliegenden Pastorat ist Pfarrer Gerhard Voßhage gekommen und nimmt sich das Fürbittbuch, das neben der Statue der Muttergottes liegt. Wieder scheint es leise zu donnern. Die regelmäßigen Beter in Wietmarschen kennen das schon. Langsam schwingen sich die Glocken ein, bevor sie jetzt die Mittagsstunde einläuten. Für den spontanen Besucher klingt es eben wie ein Gewitter.
Pfarrer Voßhage schlägt das Kreuzzeichen und betet den „Engel des Herrn“, drei Ave Maria. „Wir beten auch in den Anliegen der Menschen, die ihre Bitten hier im Buch hinterlassen haben“, sagt er und liest vor: Jemand vertraut der Muttergottes seine Familie an, eine Seniorin bittet für sich und ihren Enkel. Die Frage, was Wietmarschen zum Pilgerort macht, beantwortet sich in dieser Kapelle: Maria, die Gottesmutter.
1220: Es ist das Jahr, in dem die Existenz einer verehrungswürdigen Madonna erstmals verbrieft ist. Wahrscheinlich ist sie sogar älter. 2021 ist wieder ein besonderes Jahr: Dann ist es 100 Jahre her, dass die Wallfahrten wieder aufgenommen wurden. Dechant Matthias Rosemann, der während des Ersten Weltkriegs Pfarrer in Wietmarschen wurde, entdeckte bald darauf die Marienstatue wieder. Anfang des 19. Jahrhunderts war die Verehrung erlahmt, die Statue zur Seite geschafft worden. Aber der Geistliche wusste wahrscheinlich davon und suchte gezielt. In einer Fahnenkammer wurde er fündig, die Wallfahrt zur Gottesmutter lebte wieder auf. Der Dechant hatte großen Anteil daran.
Der „Engel des Herrn“ ist gebetet, eine Handvoll Gläubige hat Pfarrer Voßhage dabei unterstützt. Seit 2006 ist er hier Seelsorger, zugleich Dechant. Jetzt sammelt er die seit dem Morgen verbrannten Teelichte ein und legt sie sorgsam in einen Karton. Nimmt fünf neue und zündet sie an. Zieht sein Portmonnaie aus der Tasche und zahlt für jedes Licht 30 Cent in die Kasse. Seit vor zwei Jahren die Kapelle erneuert wurde und die Madonna in den Eingangsbereich der Kirche rückte, hat sich die Zahl der verkauften Lichter stark vermehrt. Vorher waren es rund 5000, jetzt sind es mehr als dreimal so viel – im Jahr.
Luise Revermann hat sich mit kleinen Zetteln ausgestattet, damit sie kein Detail über Wietmarschen übersieht. Gerne macht sie Führungen rund um die Kirche, die einst ganz klein entstand – aus Gildehauser Sandstein sowie vielen Findlingen. Sie staunt, wie es die früheren Generationen geschafft haben, große Quader auf das nötige Maß zu hauen, damit die Steine aufgerichtet werden konnten. Fürstin Gertrudis von Bentheim gab im 12. Jahrhundert Land, damit dort eine Kirche – zunächst aus Holz – gebaut werden konnte. Am 14. September 1152 war die erste Messe. Gleichzeitig entstand ein Kloster für Männer und Frauen, das nach 100 Jahren in ein Frauenkloster umgewandelt wurde, im 17. Jahrhundert zum Damenstift. Seit es 1811 aufgehoben wurde, dient das Gotteshaus allein als Pfarr- und Wallfahrtskirche; 1927 wurde die Kirche umfassend erneuert und vergrößert.
Kraft und Ermutigung erfahren
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Andere Marienwallfahrtsorte mögen bekannter sein, in der Grafschaft, im Bistum Osnabrück und in den benachbarten Kreisen der Niederlande hat Wietmarschen große Bedeutung. Auch wenn hier nie Wunder anerkannt wurden und nur eine Legende erzählt wird. Einst soll die Gräfin von Bentheim – die Mutter der damaligen Äbtissin – die Statue mitgenommen haben. Als sie am nächsten Tag vor der Muttergottes beten wollte, war diese wieder zurück in Wietmarschen. Wenn am Karfreitag das Kolpingwerk zur Wallfahrt einlädt, ist der Ort voll. Und die Familienwallfahrt am Sonntag vor Christi Himmelfahrt ist längst eine Angelegenheit auch der umliegenden Pfarreien. „Sie fühlen sich gut aufgehoben bei Maria und Jesus“, heißt es in einer Beschreibung der Wallfahrt: „Hier erfahren sie Kraft und Ermutigung für ihr Leben.“ Und auch eine solche Erfahrung kann einem Wunder gleichkommen.
Inzwischen hat Luise Revermann ihren Gang rund um die Kirche beendet. Kleine Stelen weisen auf Gebäude hin, die einst zum Kloster gehörten. Zum Teil sind sie vom Sturm umgerissen worden, wie der alte Glockenturm, zum Teil legten Menschen Hand an, weil sie nicht mehr in die Zeit passten. Dass in den 70er Jahren auch der ehemalige Stiftsbach verrohrt und zugeschüttet wurde, kann Luise Revermann bis heute nicht verstehen. Stehen geblieben ist unter anderem ein Gebäude, in dem heute ein Café untergebracht ist. Hier bereitet man sich bereits auf das Schützenfest Anfang Juli vor. Wer zum Frauenfrühstück kommen will, möge reservieren, bittet ein handgeschriebenes Schild.
Revermann selbst lebt erst seit 1973 in Wietmarschen, kennt aber viele alte Geschichten von ihrem Mann, der mitten im Ort aufgewachsen ist. Doch seine Beziehung zur Muttergottes ist nicht so eng, wie diese Herkunft vermuten lassen könnte. Obwohl er als Kind davon profitierte: „Wenn bei größeren Wallfahrten Pilger mit dem Rad ankamen, haben wir einen Radstand aufgebaut und für ein paar Pfennige die Räder bewacht“, sagt er. Seine Frau dagegen setzt sich gerne in die vor zwei Jahren neu gestaltete Kapelle, die ihr sehr gut gefällt. Dann sitzt sie bei der Gottesmutter und denkt über ihr eigenes Leben nach. „Da kann ich sehr gut zur Ruhe kommen.“