Der Anfang ist die Hälfte des Ganzen
Paulus, durch Gottes Willen berufener Apostel Christi Jesu, und der Bruder Sosthenes an die Kirche Gottes, die in Korinth ist – die Geheiligten in Christus Jesus, die berufenen Heiligen –, mit allen, die den Namen unseres Herrn Jesus Christus überall anrufen, bei ihnen und bei uns. Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus!
1. Korintherbrief 1, 1-3 (Neue Einheitsübersetzung)
Ich weiß ja nicht, wie Sie es mit Ihrer geschäftlichen bzw. dienstlichen Post halten, aber wahrscheinlich ähnlich wie ich. Schon in der Schule lernen wir, dass man einen ordentlichen Briefkopf gestaltet und als Anrede „Sehr geehrte Damen und Herren“ verwendet, wenn man mehrere Adressat*innen, die nicht einzeln namentlich genannt werden sollen, ansprechen möchte. Anschließend folgt ein kleiner Einleitungssatz, bevor man das konkrete Anliegen ins Wort bringt. Freundlich und formvollendet.
Wenn sich der Apostel Paulus schriftlich an christliche Gemeinden wendet, beginnen seine Briefe ganz anders. So auch sein Mahnschreiben an die Gemeinde in Korinth. Sicher ist das auch dem Stil seiner Zeit geschuldet und lässt sich nicht einfach auf unsere heutige Post übertragen. Und dennoch …
Das was bei uns durch den sogenannten Briefkopf vermittelt wird, nämlich in welcher Funktion bzw. Autorität der Absender schreibt, formuliert Paulus direkt am Anfang des Briefes. Da schreibt nicht der Privatmensch oder Freund Paulus, sondern der „durch Gottes Wille berufene Apostel Christi Jesu“. Die in Korinth wissen sofort, mit wem sie es zu tun haben.
Und Paulus richtet sein Schreiben nicht an die „lieben“ oder „sehr geehrten Mitglieder der christlichen Gemeinde in Korinth“. Nein, er wendet sich „an die Kirche Gottes, die in Korinth ist – die Geheiligten in Christus Jesus, die berufenen Heiligen“. Und während es bei uns die guten Wünsche in der Regel erst am Ende eines Briefes gibt, wird den Adressat*innen direkt zu Beginn „Gnade sei mit euch und Friede von Gott …“ mit auf den Weg gegeben. – Wow, das klingt und wirkt doch gleich ganz anders, finde ich.
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Die Verbindung zwischen Absender und Adressat wird dadurch hergestellt, dass an den gemeinsamen Grund, auf dem beide stehen, erinnert wird: Gott, Jesus Christus, Berufung. Der Absender spricht mit Autorität und gleichzeitig auf Augenhöhe. Die Adressat*innen sind dabei nicht einfach Glaubensschwestern und -brüder, sie sind viel mehr „Geheiligte“ und „Heilige“. Für Paulus eine ganz normale Anrede. Heilig zu sein, ist für ihn nichts Fernes, was für Normalsterbliche kaum zu erreichen ist, wie es uns manchmal erscheint. Das muss sich nicht jede*r Einzelne selber erarbeiten, sondern Gott heiligt die, die Christus nachfolgen. Sicher würde Paulus auch heute noch die Glieder christlicher Gemeinde so ansprechen. – Lassen Sie sich das mal auf der Zunge zergehen, wenn Sie als „Geheiligte*r“ bzw. „Heilige*r“ angesprochen würden.
Ja, es ist und bleibt fremd, auch kantig und nicht zur Eins-zu-eins-Nachahmung geeignet. Und dennoch steckt darin doch so viel mehr positive Kraft als in unseren förmlichen und nüchternen Briefanfängen. Da werden die Adressat*innen direkt bei ihrer Ehre gepackt, bei dem, was sie auszeichnet bzw. auszeichnen sollte. Solch eine Bestärkung und die signalisierte Verbundenheit öffnen die Ohren für die noch folgenden Inhalte sicher weit und wohlwollend, auch wenn Mahnung und Zurechtweisung anstehen. Dabei ist dies keine Strategie, sondern die Überzeugung des Paulus.
Deshalb ermahnt bzw. ermutigt mich der Anfang des ersten Korintherbriefs dazu, bei meiner schriftlichen Korrespondenz – und nicht nur da – aufmerksamer dafür zu sein, wie ich anfange, im Sinne der Redewendung „Der Anfang ist die Hälfte des Ganzen“.
Und wie gestalten Sie Anfänge?
Inga Schmitt, Pastoralreferentin