Frieden, ein anderes Wort für …

Bibelfenster zum 8. Juli 2016

Geht! Ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe. Nehmt keinen Geldbeutel mit, keine Vorratstasche und keine Schuhe! Grüßt niemand unterwegs! Wenn ihr in ein Haus kommt, so sagt als erstes: Friede diesem Haus!

Lukasevangelium 10,3-5, Einheitsübersetzung

 

Jünger Jesu sollen Friedensbringer sein.
Jesus schickt sie mittellos – wie Schafe durchs Land. Wehrlos. Sie haben buchstäblich nichts in Händen, um für sich zu sorgen oder sich zu verteidigen. Schutzlos sind sie unterwegs.
Hat das eine mit dem anderen etwas zu tun? Die Fähigkeit, Frieden zu bringen, und die eigene Schutzlosigkeit? Kann nur der, der sich nicht verteidigen kann und will, auch den Frieden bringen?
Mir kam beim Lesen des Bibelwortes eine Zeile aus dem Song „Me and Bobby McGee“ in der Version von Janis Joplin in den Sinn: „Freedom’s just another word for nothing left to lose.“
In diesem Lied geht es um ein herumziehendes Pärchen, das die Freiheit der Straße auskostet – und der Refrain ist das traurige Resümee: Freiheit ist ein anderes Wort dafür, nichts mehr zu haben, das man verlieren kann. Gilt das auch für den Frieden? „Frieden ist ein anderes Wort dafür, nichts mehr zu haben, was ich verteidigen will?“

Das Bibelfenster

Hier kommentieren jede Woche Menschen aus dem Bistum Osnabrück eine Bibelstelle aus einer der aktuellen Sonntagslesungen – pointiert, modern und vor allem ganz persönlich.

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Etwas Wahrheit steckt darin, meine ich:
In diesen Tagen ist keine Hochkonjunktur für Friedensbringer. Der Frieden wird massiv bedroht durch Krieger aller Couleur. Der soziale Friede in den Gesellschaften des Westens bröckelt. Die Institution, die einmal Resultat des europäischen Friedensprozesses waren, die EU, wankt.
Und könnte nicht ein Grund dafür sein, dass zu viele noch viel zu viel haben, das sie mit allen Mitteln verteidigen wollen?
Die Gotteskrieger den irrsinnigen Anspruch des globalen Kalifats, die Pegida-Leute ihren Mythos von der Heimat,  die Mittelschicht ihr hohes Maß an finanzieller Sicherheit, ihren etablierten Lebensstil und ihr Bildungsprivileg, die Briten ihre Überzeugung, dass die Probleme des Landes besser allein gelöst werden, …
Der Friede fängt im Kleinen an, wissen wir – und damit sind wir alle als mögliche Friedensbringer angesprochen. Ich denke darüber nach, ob meine eigene Rolle als Friedensbringer für den familiären Frieden, den Betriebsfrieden usw. manchmal so kläglich ist, weil ich noch viel zu viel zu verteidigen habe?

Vielleicht fängt die „Unbehaustheit“, die Jesus für seine Jünger will, dort an, wo Menschen sich fragen, ob der Frieden nicht wichtiger ist, als das, was ich meine, verteidigen zu müssen – genauer besehen geht es dabei meistens um Geld, Anerkennung und Macht.
Frieden ist unter anderem auch ein anderes Wort dafür, dass Menschen nichts mehr so absolut zu verteidigen haben, dass sie bereit sind, dafür andere Menschen zu beschimpfen, auszugrenzen, im Meer ertrinken zu lassen, zu töten …
Schalom!

Ina Eggemann