Sterben

Bibelfenster zum 20. Mai 2011:

Jesus sagte zu ihnen: Ich bin die Tür; wer durch mich hineingeht, wird gerettet werden; er wird ein und aus gehen und Weide finden. […] Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben.

Einheitsübersetzung, Johannes 10, 9-10

 

Was mag nur in Gunter Sachs vorgegangen sein? Seine Angst vor der „Krankheit A“, wie er sie im Abschiedsbrief nannte, muss ihm allen inneren Halt genommen haben. Der lebensfrohe Künstler und Millionenerbe, der Ehemann und Familienvater glaubte, ein Leben mit Alzheimer sei kein würdiges Leben mehr für ihn. So extrem wie sein Leben auf der Überholspur war auch sein Sterben in der Sackgasse der Angst. Er tötete sich selbst durch eine Kugel. Ein schreckliches, ein einsames, ein gewalttätiges, ein angstbesetztes Sterben.

Dieses Eingeschlossensein in die eigene Angst und Bitterkeit erinnert mich an die Jünger, die sich nach dem gewaltsamen Tod Jesu hinter verschlossenen Türen zusammengekauert hatten. Der Auferstandene aber durchbricht alle Riegel und Schlösser; Jesus tritt in ihre Mitte, nimmt ihnen die Angst und schenkt ihnen Hoffnung, Freiheit und inneren Frieden.

Im Evangelium vom 4. Sonntag der Osterzeit bringt Johannes diese öffnende Kraft Jesu in das schöne Wort: „Ich bin die Tür!“ Die Tür ist das Ursymbol des Menschen für den Übergang, den Eingang zu etwas Neuem, letztlich die Schwelle zwischen Himmel und Erde. Wer durch diese Tür geht, wird Weide finden und das Leben in Fülle haben, so hören wir. Da denkt man an den guten Hirten, von dem es im Psalm 23 heißt: „Er lässt mich lagern auf grünen Auen und führt mich zum Ruheplatz am Wasser. Muss ich auch wandern in finsterer Schlucht, ich fürchte kein Unheil; denn du bist bei mir, dein Stock und dein Stab geben mir Zuversicht!“
Zuversicht anstelle von Angst, die Sicherheit, nicht von allen guten Geistern verlassen zu sein – diesen Halt kann der Glaube an den Auferstandenen geben. Jesus will für jeden von uns zur Tür werden, und er will uns zu uns selbst führen, zu dem Kern, der auch nicht durch die „Krankheit A“ seine Würde verliert. Und er will, dass wir für andere zur Tür werden, ihnen Wege zum Leben und nicht zum Sterben öffnen.

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Wie das geht, zeigt das Beispiel von Walter Jens. Der ehemalige Tübinger Rhetorikprofessor und Schriftsteller lebt mit der „Krankheit A“, liebevoll rund um die Uhr begleitet. Er ist nicht mehr der brillante Kopf und der gelehrte Redner, er ist ganz anders und doch vor Gott unverwechselbar er selbst. Der frühere aktive Streiter für ein selbstbestimmtes Sterben bei eben dieser Krankheit kennt heute noch Momente, so sein Sohn Tilmann, in denen er auf die Frage, wie es ihm geht, mit einem Lächeln sagen kann: „Gut!“

Das kann uns allen Hoffnung machen. Aber verurteilen wir auch nicht die, denen die Angst alle Wege verbaut und alle Türen zuschlägt. Streiten wir vielmehr für ein menschenwürdiges Leben bis zuletzt.

Diakon Gerrit Schulte