„Nein, ich bin christlich orientiert“

Bibelfenster zum 19. November 2015

In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: Aber in jenen Tagen, nach der großen Not, wird sich die Sonne verfinstern und der Mond wird nicht mehr scheinen; die Sterne werden vom Himmel fallen und die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden. Dann wird man den Menschensohn mit großer Macht und Herrlichkeit auf den Wolken kommen sehen. Und er wird die Engel aussenden und die von ihm Auserwählten aus allen vier Windrichtungen zusammenführen, vom Ende der Erde bis zum Ende des Himmels.
Lernt etwas aus dem Vergleich mit dem Feigenbaum! Sobald seine Zweige saftig werden und Blätter treiben, wisst ihr, dass der Sommer nahe ist. Genauso sollt ihr erkennen, wenn ihr (all) das geschehen seht, dass das Ende vor der Tür steht. Amen, ich sage euch: Diese Generation wird nicht vergehen, bis das alles eintrifft. Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen. Doch jenen Tag und jene Stunde kennt niemand, auch nicht die Engel im Himmel, nicht einmal der Sohn, sondern nur der Vater. 

Einheitsübersetzung, Markus, 13,24-32

 

In römischer Zeit gab es Auguren. Römische Beamte, die  anhand von Naturbeobachtungen auf bestimmte Zeichen achteten, um so eine Prognose abgeben zu können, inwieweit die Götter einem bestimmten Vorhaben wohlgesonnen waren oder auch nicht.

Wir  Modernen haben die „Fünf Weisen“ – einen Sachverständigenrat, der Prognosen über die wirtschaftliche Entwicklung eines Jahres abgibt. Die modernen Weisen deuten Zahlen, aber auch Zahlen sind ja Zeichen. Gerade haben die Wirtschaftsweisen vorausgesagt, dass die Flüchtlinge unserer Wirtschaft nicht schaden werden.

Die christlich-jüdische Tradition hat ihre „Propheten“, sie haben die Gabe, die verworrenen  Ereignisse der Aktualität auf das Wirken Gottes hin zu durchleuchten. Auguren, Wirtschaftsweise und Propheten: sie alle können Zeichen deuten.
Mir fällt am Ende des Jahres auf, dass die biblischen Texte, die wir in unseren Gottesdiensten verlesen, uns alle dazu auffordern, die „Zeichen der Zeit“ zu erkennen.  „Lernt vom Feigenbaum“ Wie ist das zu verstehen? Sollen Christen die Klimakatastrophe und das Flüchtlingselend, die immer neu aufbrechenden Konflikte und Kriege als apokalyptische Zeichen verstehen, die das Ende der Welt ankündigen?

Das Bibelfenster

Hier kommentieren jede Woche Menschen aus dem Bistum Osnabrück eine Bibelstelle aus einer der aktuellen Sonntagslesungen – pointiert, modern und vor allem ganz persönlich.

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Es hat in der Geschichte immer wieder fatale Versuche gegeben Katastrophen so zu deuten – mit schlimmen Konsequenzen wurde „Endzeitstimmung“ verbreitet. Bei der biblischen Aufforderung, die Zeitzeichen im Sinne Gottes zu lesen, geht es aber nicht um Prognosen über den Lauf der Welt, sondern darum, sensibel zu werden, wie inmitten einer chaotischen Welt Handeln im Sinne Gottes möglich ist. Gott hat Wege, auch Auswege inmitten einer Menschheitsgeschichte, die oft nur Sackgassen kennt. So hoffen wir. Solche Wegzeichen zu erkennen, dazu wollen diese biblischen Texte ermutigen.
Ich meine, ich hätte eines dieser Wegzeichen erkannt in diesen Tagen. Ich fand es bei einem spontanen Dialog in der Kaffee-Bar am Bahnhof: „Feiern sie heute Halloween?“ – „Nein, ich bin christlich orientiert. Heute ist Reformationstag. Ich gehe gleich zum Gottesdienst und hole gerade die Gastpredigerin hier vom Bahnhof ab. Und den Reformationstag feiere ich heute auch nur ausnahmsweise, denn ich bin katholisch und für uns ist das Fest morgen, ‚Allerheiligen‘, wichtiger.“ „Ach dann feiern Sie heute als Katholikin das protestantische Fest mit? – Das finde ich toll. Ich bin Muslima, ich interessiere mich für Religion. Wenn wir gemeinsam unseren Glauben bekennen würden, geeint, Protestanten und Katholiken, Christen und Muslime, dann hätte der IS keine Chance.“

Dieser kurze Dialog am evangelischen Reformationstag zwischen einer Muslima und einer katholischen Seelsorgerin hat mich sehr beeindruckt. Eine Muslima schöpft Hoffnung, weil Protestanten und Katholiken gemeinsam ihren Glauben leben. Für mich ist ihre aufrichtige Freude ein „Zeitzeichen“, ein Wegzeichen Gottes, wo es lang gehen könnte für Religionen und Konfessionen in diesen von Abschottung, Fremdenhass und Gewalt gezeichneten Tagen.

Ina Eggemann