Bischöfe beauftragen Forschungsprojekt zum Thema Geistlicher Missbrauch

Kooperation der Bistümer Osnabrück und Münster mit Bischofskonferenz und Thuiner Franziskanerinnen

Christliche Seelsorge und spirituelle Begleitung will Menschen dabei helfen, die befreiende Botschaft des Evangeliums zu erschließen. Führt sie stattdessen in Enge und Abhängigkeit, weil sie mithilfe biblischer Aussagen, theologischer Inhalte oder spiritueller Praktiken manipuliert und unter Druck setzt, können Menschen geistlichen Missbrauch erfahren. Um sich dieser bislang wenig erforschten Form des Machtmissbrauchs in spirituellen Zusammenhängen wissenschaftlich zu nähern, hat das Bistum Osnabrück jetzt im Schulterschluss mit dem Bistum Münster, der Deutschen Bischofskonferenz und dem Orden der Thuiner Franziskanerinnen ein umfangreiches Forschungsprojekt beauftragt: Über einen Zeitraum von drei Jahren wird ein wissenschaftliches Team der Universität Münster unter der Leitung von Prof. Dr. Judith Könemann (Institut für Religionspädagogik und Pastoraltheologie) zu Grundlagen und möglicher Prävention von geistlichem Missbrauch forschen.

Ziel der Studie ist es, auf Basis der Erfahrungen von Betroffenen, Interviews mit Zeitzeug*innen und Aktenanalyse grundlegende Faktoren zu ermitteln, die geistlichen Missbrauch begünstigen, und daraus Perspektiven für die Prävention zu entwickeln. Ein besonderer Fokus liegt auf der Untersuchung von geistlichem Missbrauch in geistlichen Gemeinschaften in den Bistümern Osnabrück und Münster.

Neben der Einbeziehung bereits vorliegender Erfahrungsberichte, etwa aus der Arbeit im diözesanen Schutzprozess gegen sexualisierte Gewalt und geistlichen Missbrauch im Bistum Osnabrück, werden mögliche Betroffene durch das Forschungsteam aufgerufen, sich an der Studie zu beteiligen. Beginn des auf drei Jahre angelegten Forschungsprojekts ist Anfang 2023.

Im Projekt werden sowohl theologische als auch soziologische Perspektiven berücksichtigt. Projektleiterin Könemann: „Dem geistlichen Missbrauch kommt – anders als der sexualisierten Gewalt – erst in jüngerer Zeit größere Aufmerksamkeit zu. Es handelt sich aber um ein nicht weniger gravierendes Phänomen, weil es, wenn auch auf andere Art, ebenso gewaltsam auf Betroffene einwirkt. Der Kontext Geistlicher Gemeinschaften scheint eine gewisse Affinität zu geistlichem Missbrauch aufzuweisen. Welche spezifischen Faktoren geistlichen Missbrauch ermöglichen und zu dessen Etablierung beitragen, ist genauer zu untersuchen. Dazu werden im Projekt auch zeit- und pastoralgeschichtliche sowie kontextspezifische Faktoren berücksichtigt.“

Der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode, auf dessen Initiative das Forschungsprojekt zurückgeht, betont den besonderen Wert der Zusammenarbeit mit den anderen kirchlichen Partnern: „Ich bin froh, dass wir diese Studie gemeinsam angehen. Nach unseren Erfahrungen bei der teilweise langwierigen, häufig uneinheitlichen Aufarbeitung der sexualisierten Gewalt in den vergangenen Jahren brauchen wir zur systematischen Aufarbeitung des geistlichen Missbrauchs gemeinsame Standards, die – so hoffe ich – aus dieser Studie abgeleitet werden können. Wir verstehen die Studie als Grundlage für das weitere Arbeiten, die über die beteiligten Bistümer hinausgeht. Ich bedanke mich sehr bei der Arbeitsgruppe zum geistlichen Missbrauch, die im diözesanen Schutzprozess unseres Bistums bereits seit zwei Jahren wichtige Vorarbeit zum jetzt beginnenden Forschungsprojekt geleistet hat.“

Bischof Bode fügte aus seiner Erfahrung als früherer Vorsitzender der Unterkommission Frauen der Deutschen Bischofskonferenz hinzu: „Diese Art von spirituellem Missbrauch gibt es leider auch außerhalb von geistlichen Gemeinschaften und Bewegungen: 80 Prozent der Frauen, die sich bei der Anlaufstelle ‚Gewalt gegen Frauen‘ melden, sind (ehemalige) Ordensfrauen.“

Der Münsteraner Bischof Felix Genn sagt zur Studie: „Der innere Dialog eines Menschen mit Gott verdient Schutz und Respekt. Durch geistlichen Missbrauch aber wird dieser innere Raum, der zur menschlichen Intimsphäre gehört, beschädigt. Der Mensch wird manipuliert, instrumentalisiert und verletzt. Die Frohe Botschaft, die Gott für jeden Menschen hat, wird ihm unzugänglich gemacht. Außerdem bereiten einige Täter so sexuellen Missbrauch vor. Deshalb müssen wir in der Kirche geistlichen Missbrauch verhindern und ihn dort, wo er geschehen ist, sanktionieren. Es ist wichtig und wertvoll, dass diese Studie Erkenntnisse zu Täterstrategien und Präventionsmöglichkeiten liefern wird.“

Dem neuen unabhängigen Forschungsprojekt mit dem Schwerpunkt spirituellen Missbrauchs sind die 2018 von den deutschen Bischöfen veröffentlichte MHG-Studie sowie verschiedene diözesane Aufarbeitungsprojekte vorausgegangen, die sexuellen Missbrauch an Minderjährigen im kirchlichen Kontext wissenschaftlich untersucht haben. Das Bistum Osnabrück hat im Rahmen seines diözesanen Schutzprozesses eine ebenfalls mit überwiegend externen Fachleuten besetzte Arbeitsgruppe zum geistlichen Missbrauch eingerichtet und unabhängige Ansprechpersonen für Betroffene benannt. Kontaktdaten und weitere Informationen im Internet unter www.bistum-osnabrueck.de/geistlicher-missbrauch. Das Bistum Münster erarbeitet derzeit vergleichbare Strukturen und wird ebenfalls unter anderem unabhängige Ansprechpersonen benennen.

Hinweis an die Redaktionen:

Das Forschungsteam der Universität Münster unter der Leitung von Prof. Dr. Judith Könemann arbeitet in wissenschaftlicher Freiheit und unabhängig von den kirchlichen Auftraggebern. Für weitere Fragen zur geplanten Studie steht die Pressestelle der Universität Münster unter der Telefonnummer 0251/83 22233 zur Verfügung.