Christlich, traditionell oder modern?
Gesucht werden zwei Namen. Einen schönen Klang sollen sie haben. Das ist wichtig für Irina und Max. Das Paar erwartet Nachwuchs. Zwillinge, ein Junge und ein Mädchen. Noch sechs Monate haben sie Zeit. Auf ihrer ersten Namensliste stehen zehn Jungennamen, daneben die zehn Favoriten für die Mädchen. Moritz und Thomas sind an erster Stelle bei den Jungen. Bei den Mädchen Lotta und Maria. Es ist eine erste Liste, noch viele werden folgen.
Auf dem Balkon geht Irina Seite für Seite das Vornamenlexikon durch, sucht den perfekten Namen. 8500 Vornamen sind aufgeführt. Von Aada bis Zyriak. Dazu kommen die Vorschläge von Freunden und der Familie. Von Hanni und Nanni bis Donna und Leon. Bei dieser ganzen Namenssuche, „da bist du irgendwann total gaga“, sagt Max.
Eltern haben bei der Namensgebung heute tatsächlich die Qual der Wahl. „Die kulturelle Vielfalt der Vornamen hat deutlich zugenommen“, sagt Frauke Rüdebusch. Sie arbeitet in einem der Machtzentren für deutsche Vornamen. Bei der Gesellschaft für deutsche Sprache in Wiesbaden stellt sie Namensgutachten aus.
Wenn Standesämter einen Namenswunsch der Eltern ablehnen, weil er zu ausgefallen ist und dem Kind schaden könnte, können sich diese an die Gesellschaft wenden. Der Auftrag von Frauke Rüdebusch ist dann, in dicken Lexika wie „The Most Complete Baby Name Book“ nachzuforschen, ob der gewünschte Name irgendwo auf der Welt vielleicht tatsächlich ein Name ist. Stellt sie dem Paar ein entsprechendes Gutachten aus, stehen die Chancen gut, dass das Standesamt den Vorschlag doch noch akzeptiert.
Bei der Vielfalt der Namen, die heute vorkommen, zeigt sich: Vornamen sind ein Spiegelbild der Gesellschaft. Die globalisierte Welt spiegelt sich in der kulturellen Vielfalt der Namen wider. Gleichzeitig belegt der Rückgang religiöser Namen: Wir leben auch in einer säkularisierten Gesellschaft. Immer weniger Eltern suchen für ihre Kinder religiöse Namen aus. Und wenn, dann haben diese Vornamen ihre eigentliche Bedeutung schon lange verloren. So wie bei Namen aus dem Alten Testament, beispielsweise Jona oder Daniel. Zwar erlebten die in den achtziger Jahren eine Wiedergeburt und tauchen seitdem immer wieder auf, doch werden sie meistens der Mode und nicht ihrer christlichen Bedeutung wegen vergeben.
Vor tausend Jahren sah das noch anders aus. Die zunehmende Heiligen- und Reliquienverehrung führte dazu, dass die europäische Namenswelt christlich geprägt wurde. Bei der Vornamenwahl orientierten sich die Menschen an den Heiligen. Martins und Katharinas breiteten sich immer mehr aus. Mit der Reformation kam eine Zäsur. Zunehmend biblische oder deutsche Namen hatten bei den Protestanten die Nase vorn. Die katholische Kirche reagierte. Im „Catechismus Romanus“ von 1566 heißt es: „Endlich erhält der Täufling auch einen Taufnamen. Es soll dazu der Namen eines Heiligen genommen werden, der wegen hervorragender Frömmigkeit und Gottesfurcht der Ehre der Altäre gewürdigt wurde. Diese Namensverwandtschaft wird dem Täufling leicht ein Ansporn zur Nachahmung in Tugend und Heiligkeit sein. Und wie er ihn nachzuahmen sich bestrebt, so soll er auch zu ihm beten und vertrauensvoll von ihm Schutz zum Heil der Seele und des Leibes erwarten.“
Einerseits sollte der Name des Heiligen dem Getauften also als Vorbild, andererseits als Vermittler bei Gott dienen. Idol und Schutzpatron? Bei den wenigsten Eltern spielen diese Kriterien wohl heute noch eine Rolle. Die Besonderheit eines Namens, sein schöner Klang, dass er modern ist, sind weitaus wichtigere Argumente für oder gegen einen Namen geworden.
Wie Namen in Mode kommen und wieder verschwinden, zeigt sich schön an dem Vornamen Kevin. Im Jahre 1991 lag Kevin auf Platz 1 der Liste der beliebtesten Vornamen. 2011 stand er gerade noch auf Position 119. Das lag womöglich auch an einer Studie der Universität Oldenburg, die für Furore sorgte: Bestimmte Vornamen sollen bei Grundschullehrern nämlich Vorurteile hervorrufen. Bei Namen wie Kevin und Chantal gehen demnach ganz bestimmte Alarmglocken an: verhaltensauffällig, ungebildetes Elternhaus, leistungsschwach. „Kevinismus“ wird das seitdem genannt. Interessant beim Vornamen Kevin: Wie bei so vielen Namen verbirgt sich auch hinter diesem ein Heiliger. Bei Kevin ein irischer Heiliger aus dem 7. Jahrhundert.
Stehen heute vor allem skandinavische Namen bei vielen Eltern hoch im Kurs, waren es ab der Mitte des 19. Jahrhunderts deutsche Namen, die sich immer größerer Beliebtheit erfreuten. Der zunehmende Nationalismus führte dazu, dass Vornamen wie Brunhild, Otto oder Friedrich häufig das Rennen machten, vor allem in den protestantisch-preußischen Gebieten. Nicht weiter verwunderlich in diesem Zusammenhang: So viele deutsche Namen wie während des Nationalsozialismus wurden weder vorher noch nachher vergeben.
„Wie heißt du?“, ist eine der ersten Fragen, wenn wir einen Menschen kennenlernen. Unser Vorname gibt uns eine Identität, holt uns aus unserer Anonymität. Bei Jesaja heißt es: „Der Herr hat mich schon im Mutterleib berufen; als ich noch im Schoß meiner Mutter war, hat er meinen Namen genannt.“
Weiterführende Informationen
So früh wussten Irina und Max die Namen für ihre Kinder nicht. Mit einer finalen Favoritenliste auf Postkartengröße ging es ins Krankenhaus. Noch hatten sie sich nicht zu zwei endgültigen Favoriten durchgerungen. Sechs Stunden nach der Geburt, als die neuen Erdenbürger immer noch Baby 1 und Baby 2 hießen, fällten sie dann die schwierige Entscheidung. Sie informierten die Frau vom Standesamt: Moritz und Merle sind auf der Welt. Und Irina weiß: „Moritz ist Moritz und Merle ist Merle. Die könnten auch gar nicht mehr anders heißen.“