Die Balance nach der Sucht

Flasche Alkohol
Rund 1,7 Millionen Männer und Frauen in Deutschland sind alkoholabhängig. Bild: fotolia.de, L

Norbert Fritz ist Alkoholiker. Irgendwann trifft er eine Entscheidung und geht zur Beratungsstelle der Caritas. Ein erster Schritt eines langen Weges.

Bierstand beim Schützenfest. „Fünf Bier!“, sagt Norbert Fritz. „Du bist doch alleine, was willst du mit fünf Bier?“, fragt der Mann am Ausschank. „Komm’ mach hinne!“, sagt Norbert Fritz. Er nimmt das erste Bier. Rein und runter. Das zweite. Kühl läuft es die Kehle hinab. Bier drei. Zack zack, er muss sich beeilen. Seine Frau sitzt im Festzelt. Er hat ihr gesagt, dass er nur kurz auf die Toilette geht.

Norbert Fritz ist Alkoholiker. Morgens geht es als erstes zur Tankstelle für ihn. Da holt er sich seinen morgendlichen Alkohol. Langsam den Pegel einstellen. Bei der Arbeit trinkt er heimlich. Wenn er von der Arbeit heimkommt, schläft er, trinkt weiter. Das ist sein Leben. Er hat eine Frau, zwei Kinder. Viele Jahre läuft das so. „Unsere Ehe funktionierte schon lange nicht mehr. Meine Frau hat mich nur noch geduldet.“ Irgendwann ist der Druck zu groß. In der Familie, bei der Arbeit. Jeder weiß: Er hat ein Alkoholproblem. Auch er selbst. Norbert Fritz fällt eine Entscheidung: „So kann es nicht weitergehen, so soll mein Leben nicht aussehen.“

In der Praxis seines Hausarztes hing doch immer so ein Zettel von einer Gruppe für Alkoholiker. Er geht in die Praxis, will sich den Zettel anschauen, der ist aber nicht mehr da. Norbert Fritz fragt seinen Arzt nach der Broschüre. Der schickt ihn zur Suchtberatungsstelle des Caritasverbandes. So steht Norbert Fritz im Jahr 2001, es ist kurz vor Weihnachten, im Büro der Fachambulanz für Suchtkranke in Fürstenau. Er kommt zu Astrid Rauf, Suchttherapeutin bei der Caritas. Sie setzen sich zusammen in ihrem Büro. Er fängt an zu erzählen. Von seinen Problemen und seinem Entschluss, dass er etwas ändern möchte.

Wie geht es nach dem Entzug weiter?

Norbert Fritz in der Beratungsstelle bei Astrid Rauf. Bild: Gerber

„Man spürte schon einen sehr großen Leidensdruck bei ihm“, erinnert sich die Sozialpädagogin. Nach dem Gespräch geht es ziemlich schnell. Astrid Rauf ruft bei der Klinik an. Eine Woche später ist Norbert Fritz zum Entzug in der Klinik in Georgsmarienhütte. Eine schwere Zeit beginnt. „Das war schrecklich über Weihnachten und Neujahr in der Klinik zu sein.“ Sechs Wochen später kommt er wieder nach Hause. „Wie geht es nach dem Entzug weiter, das ist die entscheidende Frage“, erklärt Rauf. Norbert Fritz und sie treffen sich jetzt wöchentlich. Das wichtigste Ziel: „Zu schauen, was macht ihn zufrieden? Wie kann er seine Freizeit sinnvoll gestalten? Wie kann er auf der Arbeit wieder Fuß fassen“, erklärt Rauf. Die beiden machen eine Bestandsaufnahme, ordnen die Themen. Dann beantragt Rauf eine sogenannte ambulante Rehabilitation bei der damaligen Landesversicherungsanstalt (LVA) Hannover, schreibt einen Sozialbericht, stellt alle Unterlagen zusammen, damit die Kosten der weiteren Behandlung von der LVA übernommen werden. Ein neues Leben, ohne Alkohol, beginnt für ihn und seine Familie.

Beratungsstellen

Die Fachambulanz für Suchtprävention und Rehabilitation in Bersenbrück bietet allen Menschen mit Suchtproblemen, ob beim Umgang mit Alkohol, Drogen oder Medikamenten, oder auch bei Spielsucht oder Essstörungen Hilfe an. Sie ist eine der zahlreichen Fachambulanzen des Diözesancaritasverbandes Osnabrück. Die Arbeit der Fachambulanzen und der Selbsthilfe werden vom Bistum Osnabrück finanziell unterstützt.

Und irgendwann hilft er anderen

„Ich habe angefangen, mich an so vielen Dingen zu freuen.“ Mit seiner Frau geht er noch zu einem Paarseminar. Auch das bei der Beratungsstelle. Und Norbert Fritz fängt an zur Kreuzbundgruppe, einer katholischen Selbsthilfegruppe für Alkoholiker, zu gehen. Irgendwann wird er Leiter der Gruppe. „Anderen zu helfen macht mir Spaß“, sagt er.  So führt der Familienvater ein zufriedenes Leben. „Es ist eine Kunst, diese innere Balance zu halten“, erklärt Astrid Rauf.  Über zwölf Jahre hält die Balance bei Norbert Fritz.

Doch alles hat ein Ende. Irgendwann spürt er eine Erschöpfung in sich. Er kann nicht mehr essen, schläft schlecht. Ständig diese Gedanken: Mal wieder ein Bierchen kippen. Seine Frau spürt das. „In dir brodelt es doch“, sagt sie zu ihm. Bei der Arbeit, als es gerade stressig ist, platzt dieser Satz aus ihm heraus: „Jungs, ich kipp‘ mir die Birne dicht, dann bin ich sechs Wochen krankgeschrieben und der Scheiß hat mal ein Ende.“ Seine Worte machen ihm „tierische Angst“. Angst davor, rückfällig zu werden. Wieder trifft er einen Entschluss. Er geht zum Arzt, dann steht er erneut im Büro von Astrid Rauf. „Ich war zunächst schon überrascht, dass Herr Fritz sich wieder bei mir gemeldet hat. Aber positiv überrascht, weil er rechtzeitig gehandelt und gut für sich gesorgt hat“, erklärt Rauf. „Das ist der Goldene Weg, den er gegangen ist.“

Jetzt ist auch mit Rauchen Schluss

Norbert Fritz kommt für drei Wochen in eine Caritas-Therapieeinrichtung und absolviert das „Stof“-Therapieprogramm, eine spezielle Therapie für trocken lebende Suchtkranke, bei denen die Gefahr besteht, rückfällig zu werden. „Ich habe da sehr viele Dinge aufarbeiten können“, sagt Norbert Fritz. Jetzt geht er einmal in der Woche zur ambulanten Weiterbehandlung zu Astrid Rauf. Dieses Mal in die Gruppentherapie. Norbert Fritz ist sehr dankbar über das Angebot der Beratungsstelle. „Hier hören einem die Mitarbeiter zu und helfen einem“, sagt er. „Und für jeden ist exklusiv die richtige Hilfe dabei.“ Mittlerweile hat Fritz auch mit dem Rauchen aufgehört. Er hat an einem Seminar in der Beratungsstelle teilgenommen. „Ich fühle mich sehr gut“, meint Norbert Fritz mit einem Lächeln im Gesicht.