Die Ränder sind die Mitte

Armut ist ein Thema in der Gesellschaft, in der Kirche – und auch in unseren Gemeinden und im Bistum. Hoffentlich wählen die Kardinäle wieder einen armutssensiblen Papst.
„Die Armen in Deutschland werden immer ärmer.“ Mit diesem Ergebnis als Schlagzeile hat gestern der Paritätische Gesamtverband seinen Armutsbericht 2025* veröffentlicht. In Deutschland sinkt aufgrund der Inflation die Kaufkraft. Das betrifft besonders Menschen, die ohnehin wenig Geld zur Verfügung haben. Die durchschnittliche Armutsquote stieg innerhalb des letzten Jahres um 1,1 auf 15,5% der Bevölkerung. Das bedeutet, dass hierzulande 13 Millionen Menschen unter Einkommensarmut leiden, die eine angemessene gesellschaftliche Teilhabe verhindert. Das betrifft vor allem Alleinerziehende (27 Prozent) und Alleinlebende (29 Prozent), junge Erwachsene zwischen 18 und 25 Jahren (24,8 Prozent), aber ebenso Menschen ab 65 Jahren (19,4 Prozent) überproportional. Hier sind – und das ist kein Naturgesetz – wie so oft Frauen überrepräsentiert.
Ich merke das alles in unseren Gemeinden. Zum ersten Mal in den letzten Jahren haben wir eine wohnungslosen Familie mit Kindern in unserer Notunterkunft unterbringen müssen. Denn unbezahlbarer Wohnraum ist ein Armutsbeschleuniger. In unseren Kitas gibt es Eltern, die sich nicht an den Geschenken für die Erzieherinnen zum Ende des Kindergartenjahres beteiligen können, weil die fünf Euro sonst in der Haushaltskasse fehlen. Von den Kosten für das gesunde Frühstück mit Bioäpfeln vom Wochenmarkt ganz zu schweigen. In unserem Pfarrgemeinderat haben wir zuletzt markiert, dass die Altersarmut von Rentnerinnen und Rentnern ein zunehmendes Problem bei uns wird. Übrigens: Die höchste Armutsquote in ganz Deutschland – sortiert nach Bundesländern – ist in unserem Bistum zu verzeichnen. In Bremen ist mehr als jeder Vierte (25,9 %) von Armut betroffen.
Über den Autor
Dominik Blum ist Pfarrbeauftragter in der katholischen Pfarreiengemeinschaft im Artland. Zusammen mit seiner Frau hat er vier erwachsene Kinder. Die besten Einfälle, wenn es um Gott und die Welt geht, kommen ihm im Wald mit seinem Labrador Oscar oder bei Whiskey und Rockmusik.
Am 13. März 2013 flüsterte der brasilianische Kardinal Claudio Hummes (1934-2022) Jorge Mario Bergoglio etwas ins Ohr, der gerade zum 266. Bischof von Rom und Papst gewählt worden war. Danach, berichtete Bergoglio später, habe er sich entschlossen, den Namen Franziskus anzunehmen, nach dem Heiligen Franz von Assisi, dem Freund der Armen. Der Franziskaner Hummes hatte dem Jesuiten Bergoglio mit auf den Weg gegeben: „Vergiss die Armen nicht!“ Diesem Rat folgte Papst Franziskus zeitlebens und kümmerte sich um Dixi-Klos und Duschen, Verpflegung und Barbiere für die Armen auf dem Petersplatz und in ganz Rom. Er besuchte auf seiner ersten Reise Lampedusa und später Lesbos, um auf das Schicksal der Menschen hinzuweisen, die in Europa ein Leben mit weniger Armut als in ihren Heimatländern suchen. Und er wusch den armen Sündern in den Gefängnissen die Füße statt den Honoratioren aus den vatikanischen Behörden.
Dass die Kirche an die Ränder gehen soll, hat Franziskus immer wieder betont. Vielleicht ist es noch einfacher: Die vermeintlichen Ränder sind die Mitte der Kirche – so jedenfalls hat Franziskus es selbst gelebt. Wie schön wäre es, wenn ein neuer Papst aus dem in der nächsten Woche beginnenden Konklave hervorgehen würde, der dieser Orientierung von Franziskus folgen würde. Bis dahin können wir uns vornehmen, die Armen in unseren Gemeinden, Städten und Dörfern nicht zu vergessen. Auch und besonders, weil wir selber sparen müssen.
*Informationen zum Armutsbericht des Paritätischen Gesamtverbandes finden sich hier: https://www.der-paritaetische.de/themen/sozial-und-europapolitik/armut-und-grundsicherung/armutsbericht/