Ein Stachel im Fleisch

Kaktus, grün, stachelig
Bild: unsplash.com, zelle duda

Ihr wisst, dass gesagt worden ist: „Auge um Auge und Zahn um Zahn!“ Ich sage euch aber: Wehrt euch nicht gegen Menschen, die euch etwas Böses antun! Sondern: Wenn dich jemand auf die rechte Backe schlägt, dann halte ihm auch deine andere Backe hin! Und wenn dich jemand verklagen will, um deine Kleider als Pfand zu bekommen, dann gib ihm auch noch den Mantel dazu! Und wenn dich jemand dazu zwingt, seine Sachen eine Meile zu tragen, dann geh zwei Meilen mit ihm! Wenn dich jemand um etwas bittet, dann gib es ihm! Und wenn jemand etwas von dir leihen will, sag nicht Nein. Ihr wisst, dass gesagt worden ist: „Liebe deinen Nächsten und hasse deinen Feind!“ Ich sage euch aber: Liebt eure Feinde! Betet für die, die euch verfolgen! So werdet ihr zu Kindern eures Vaters im Himmel! Denn er lässt seine Sonne aufgehen über bösen und über guten Menschen. Und er lässt es regnen auf gerechte und auf ungerechte Menschen. Denn wenn ihr nur die liebt, die euch auch lieben: Welchen Lohn erwartet ihr da von Gott? Verhalten sich die Zolleinnehmer nicht genauso? Und wenn ihr nur eure Geschwister grüßt: Was tut ihr da Besonderes? Verhalten sich die Heiden nicht genauso? Seid vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist!

Matthäus 5,38-48 (BasisBibel)

 

„Liebt eure Feinde! Betet für die, die euch verfolgen!“ – Mit Blick auf das Attentat in Hanau fordern mich diese Sätze und die anderen Aufforderungen Jesu aus der Bergpredigt neu heraus. Einerseits frage ich mich um so mehr, ob Jesu Vorstellung überhaupt ein realistisches Modell für unser Miteinander sein kann. Schließlich sind wir alle auch nur Menschen und doch eher ganz weit weg von „vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist“. Kann ich den Attentäter lieben? Für ihn zu beten, würde ich wohl noch hinbekommen. Aber kann ich einer direkt betroffenen Person das abverlangen?

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Andererseits bleiben Jesu Aufforderungen zu radikaler Versöhnungsbereitschaft und grenzenloser Liebe ein Stachel, der mich immer wieder piekt und unbequem ist. Er fordert mich/uns dazu heraus, gewohnte Denk- und Reaktionsmuster in Frage zu stellen und auf der Suche danach zu bleiben, wie Frieden in der Gesellschaft, zwischen Völkern und Religionen Wirklichkeit werden kann. Vorgelebt hat Jesus das, ohne aus dem Blick zu verlieren, dass auch gilt, denen Recht zu verschaffen, die unter Unrecht leiden. Aus solchen Stacheln sind z.B. die gewaltfreien Bewegungen gegen Unterdrückung und für Recht und Gerechtigkeit erwachsen und haben Wirkung gezeigt.

Mit Gott als Orientierung für eigenes Handeln, wie Jesus es fordert und praktiziert hat, bleibt noch ganz viel Gestaltungsraum für ein förderliches Miteinander im Kleinen und Großen. Jede*r kann etwas dazu beitragen, eine Kultur mitzugestalten, in der Ausgrenzung, Rassismus und nationalistische Ideen keinen Platz haben. Lassen wir uns doch von Jesus anstacheln.

Inga Schmitt