Eine Herz- und Seelenarbeit
Immer mehr Menschen sehnen sich nach einer Auszeit. Weg vom Schreibtisch, raus aus dem Alltag, Hektik und Stress hinter sich lassen. Eine Form, dem Alltag zu entfliehen und gleichzeitig die Beziehung zu Gott zu stärken, sind Exerzitien. Ein schwieriger Begriff, der sich ganz unkompliziert mit „Übungen“ übersetzen lässt. Andrea Schwarz ist christliche Autorin, lebt im Bistum Osnabrück und bietet selbst Exerzitien an.
„Wir kennen den Begriff aus einem anderen Kontext“, erklärt sie, „nämlich das Exerzieren der Soldaten.“ Im Mittelalter sind Soldaten aus ihrer Burg heraus gekommen, um den Gebrauch von Waffen einzuüben. „Sie sind ins freie Feld gezogen und haben geübt, um für den Ernstfall gerüstet zu sein“, erklärt Schwarz.
Auch den heutigen Alltag vergleicht sie mit einer Burg – „und die ist in den letzten Jahren immer fester und höher geworden“, sagt Schwarz. „Wir sind permanent verfügbar – ob per Telefon oder per Mail, sind vielseitig eingespannt und können zwischen 60 Fernsehprogrammen wählen.“ Da sei die Sehnsucht des Menschen, aus diesen „Gefängnissen“ auszubrechen, kaum verwunderlich. „Raus aus dem Erwartungsdschungel“, so ihr Eindruck.
Die Urform dauert 40 Tage
Wer die geistlichen Übungen für sich nutzen möchte, sollte auf jeden Fall genau hinschauen, rät Schwarz. Die „Urform“ der Exerzitien stammt vom Heiligen Ignatius von Loyola. Sein Exerzitien-Konzept sieht eine 40-tägige Auszeit vor – mit Bibeltexten, Gebet und Eucharistiefeier, mit Besinnung, Erforschung des Gewissens und den Fragen nach Tod und Auferstehung. „Weil heute aber kaum jemand so viel Zeit hat, haben sich Kurzformen von acht oder zehn Tagen entwickelt, daraus nochmal Wochenend-Kurse und Exerzitien im Alltag“, erklärt Schwarz.
Art, Dauer und Ort spielen bei Exerzitien eine wichtige Rolle: Ob Wander- oder Filmexerzitien, Exerzitien mit Bogenschießen, am Meer oder in den Bergen. „Entscheidend ist die Frage, was ich gerade brauche“, sagt Schwarz, „Sieben Tage Schweigeexerzitien sind nicht immer das Richtige.“ Es gilt, aus der breiten Palette das Richtige zu wählen. „Exerzitien in einem Tagungshaus mitten in der Stadt sind vielleicht interessant für die, die sonst sehr abgeschieden leben“, sagt Schwarz. „Exerzitien mit Obdachlosen auf der Straße eignen sich eher für die, die beruflich viel Zeit am Schreibtisch verbringen.“ Auf der Suche nach dem passenden Angebot sei es auch ratsam, die pastoralen Mitarbeiter der Kirchengemeinden nach Tipps zu fragen, sagt Schwarz. „Im Reisebüro bucht man schließlich auch nicht das erste Angebot.“
„Eine Herz- und Seelenarbeit“
Andrea Schwarz beschreibt die geistlichen Übungen als „Herz- und Seelenarbeit“. „Exerzitien sind keine Kopf-Arbeit“, betont sie. Es gehe darum, sich Gott annähern zu können – ohne Druck von außen. „Alle Exerzitien wollen helfen, die eingeübten Haltungen auch im Alltag zu leben“, sagt Schwarz, „es bringt nichts, von einer spirituellen Insel zur nächsten zu hüpfen.“
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Eine Auszeit nehmen, die Beziehung zu Gott stärken – das geht laut Schwarz aber auch im Kleinen. „Natürlich ist das im Alltag schwieriger“, sagt sie. „Bei mir ist die Verlockung groß, doch noch schnell eine E-Mail zu lesen oder zum Telefon zu greifen.“ Und dennoch: „Es gibt auch kleine Möglichkeiten: An der roten Ampel ein ‚Vater unser‘ beten, die CD mit Taizé-Liedern während einer langen Autofahrt, 15 Minuten abends im Garten die Blumen gießen, ein gutes Buch lesen, an der Ems spazieren gehen …“ Für Andrea Schwarz ist auch das Schreiben eine kostbare Form der Besinnung. „So kann ich die Dinge, die mich beschäftigen, loswerden und leer werden“, erklärt sie.
Und wenn sie selbst Exerzitien leitet – was möchte sie den Teilnehmern vermitteln? „Gar nichts!“, sagt Schwarz. „Es sind immer Tage, die den Teilnehmern gut tun sollen. Sie sollen ihren eigenen Weg erkennen und Lust bekommen auf Lebendigkeit, auch darauf, etwas mit Gott zu erleben.“ Als Leiterin schaffe sie dafür die Rahmenbedingungen. „Ich möchte in der Beziehung zwischen Gott und Mensch nicht stören“, sagt Schwarz, „wenn ich aber helfen kann – umso besser.“ Mit einem Schmunzeln benennt die Autorin dann aber doch drei Dinge, die für das Gelingen von Exerzitien wichtig sind: „Schlaf, gutes Essen und Bewegung.“