Für jeden Gefangenen eine Weihnachtstüte
Schuld, Gewalt, Vergebung, Gnade – mit diesen Begriffen hat Richard Goritzka als Gefängnisseelsorger jeden Tag zu tun. Im Interview erzählt er, warum Vergebung sinnvoll und Strafe nötig sein kann. Es geht außerdem um Corona im Knast und darum, wie man den Gefangenen zu Weihnachten eine kleine Freude macht.
Herr Goritzka, als Gefängnisseelsorger haben Sie jeden Tag mit Menschen zu tun, die wegen ihrer Taten in Haft sitzen. Was ist aus Ihrer Sicht die bessere Alternative: Gnade oder Strafe?
Eine Strafe – konkret: eine Haftstrafe – ist das Resultat einer Handlung, die die Gesellschaft nicht hinnehmen will oder kann. Wenn das Verhalten eines Menschen einen gravierenden Verstoß gegen die gesellschaftliche Ordnung und das geltende soziale Regelwerk darstellt, muss die Gesellschaft reagieren. Wichtig ist, dass Tat und (Haft-)Strafe in einem zeitlichen Zusammenhang stehen, dass die Strafe in gewisser Weise als sinnvoll erachtet werden kann und Zukunftsperspektive bietet. – Gnade ist eine völlig andere Kategorie der Zuwendung der Gesellschaft zu einem Straftäter oder einer Straftäterin. Sie bedarf einer eigenen Begründung und muss Ausdruck seiner oder ihrer bleibenden Menschenwürde sein. Ein Gnadenerweis wird immer auch die Perspektive des Opfers einbeziehen.
Sollten Opfer einer Straftat vergeben können?
Wer Opfer geworden ist, muss mit einer besonders schweren Erfahrung leben. Das ist ein manchmal sehr langer Prozess, der Ermutigung und Begleitung braucht. Wenn der Gedanke an Vergebung in diesem Prozess entsteht, entscheidet das Opfer, ob es hilfreich ist, zu vergeben. Vergebung ist keine moralische Forderung oder Leistung, sondern ein Weg, aus der Opferrolle heraus zu kommen.
Jeder Mensch hat eine zweite Chance verdient – warum?
Jeder Mensch hat auch eine dritte, vierte oder fünfte Chance verdient. Das lässt sich biblisch gut begründen, ist aber vor allem Ausdruck der Hoffnung, dass jeder Mensch einen Weg finden kann zu leben, ohne die Rechte und die Würde des Mitmenschen zu verletzen.
Wie sehr schränkt die neuerliche Corona-Welle die Gefangenen in der JVA ein?
Stand jetzt gibt es noch keine weiteren Verschärfungen der geltenden Verhaltens- und Besuchsregelungen. Im Verlaufe dieses Jahres wurden die Insassen der Hafthäuser soweit irgend möglich zum Beispiel bei der Arbeit, beim Sport, beim medizinischen Dienst, bei Besuchen und im Gottesdienst voneinander getrennt. Besuch gab es nur mit Trennscheibe. Diese Maßnahmen konnten nach und nach wieder aufgehoben werden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sie bei weiter steigenden Inzidenzzahlen wieder eingeführt werden müssen. Derzeit gilt die 3G-Regel und es besteht Maskenpflicht beim Besuch. Insgesamt tragen die Inhaftierten und die Bediensteten der JVA die Corona-Regelungen und -Einschränkungen gut mit. Es gibt bei beiden Gruppen eine erfreulich hohe Impfbereitschaft.
Weitere Infos
Die Gefängnisseelsorger der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bremen-Oslebshausen bitten um Geldspenden für Weihnachtstüten. Die Aktion läuft bis Freitag, 3. Dezember. Wer bis dahin zehn Euro spendet, ermöglicht den Einkauf von Kaffee, Gebäck und Süßigkeiten für einen Inhaftierten. Alle Infos zur Weihnachtsaktion finden sich hier
Der evangelische und der katholische Seelsorger organisieren seit vielen Jahren eine ökumenische Weihnachtsaktion für die Gefangenen der JVA Oslebshausen. Wie funktioniert diese?
Bis im vergangenen Jahr konnten Spenderinnen und Spender selbst eine Tüte (oder auch mehrere) mit einem empfohlenen Inhalt, wie Tee, Kaffee, Schokolade und Lebkuchen füllen. Jahr für Jahr wurden es mehr Tüten! 2019 waren es 472! Aufgrund veränderter Sicherheitsvorschriften müssen die Geschenktüten seit vier Jahren aber einzeln mit dem Scanner durchleuchtet werden. Ein großer Aufwand, der den Bediensteten kaum mehr zuzumuten war. Wir sind deswegen dazu übergegangen, um Geldspenden zu bitten und zentral einzukaufen, sodass das Scannen der Tüten entfällt. Eine Riesenerleichterung! Das Spendenaufkommen war so hoch, dass erstmals jeder und jede Gefangene eine Weihnachtstüte bekam – eine größere für Bedürftige, eine etwas kleinere für solche, die über einen Arbeitseinkommen verfügen. Insgesamt haben wir fast sechshundert Weihnachtstüten verteilt.